Der lange Weg nach Mailand 2026
Die Schweiz ist eine Curling-Nation. Von den Philippinen konnte man das bis vor Kurzem nicht behaupten. Eine Chance für vier Schweizer mit philippinischen Wurzeln: Sie haben letztes Jahr den philippinischen Curling-Verband gegründet und bilden seitdem das Nationalteam. Zugrunde liegt ein gemeinsamer Traum: Die Teilnahme an den Olympischen Winterspielen in Mailand 2026. Einer von ihnen ist Christian Haller, Produktspezialist aus dem Asset Management der ZKB. Wir haben ihn in der Curlinghalle Wallisellen getroffen und gefragt, wie die Chancen stehen, den Traum wahr werden zu lassen.
Text: Othmar Köchle / Bilder: Simon Baumann
Christian Haller wischt kurz mit dem Handschuh über die Gleitfläche des Steins, er konzentriert sich und stösst sich dann elegant von den Startblöcken ab. In perfekter Balance, den Blick aufs Ziel gerichtet, durch die Abgabezone gleitend, lässt er dann den Stein mit einem kleinen Drehimpuls los und verfolgt ihn mit prüfendem Blick. Nachdem der Stein mit idealer Länge im Zentrum des Hauses zum Stehen kommt, wendet sich Christian Haller uns zu. Er trägt das Trikot der philippinischen Curling-Nationalmannschaft und sagt: «Ja, ich will für die Philippinen 2026 in Mailand an den Olympischen Winterspielen antreten.» Christian Haller lächelt dabei, als ob er es selbst immer noch für eine irre Idee hielte. Doch im Gespräch wird klar, dass wir es nicht nur mit einem seriösen, gewissenhaften Banker mit prägnanter Brille zu tun haben, sondern eben auch mit einem leidenschaftlichen Sportler. Aber noch einmal: Wie bitte? Philippinische Nationalmannschaft im Curling? Cool Runnings II, jene Story einer jamaikanischen Bobmannschaft, die an den den Olympischen Winterspielen 1988 in Calgary startete? Christian Haller erzählt nun, wie es zu seiner Geschichte kam.
Die Schweizer Curlingszene ist überschaubar. Man kennt sich. Die Gebrüder Pfister aus dem Bernischen gehörten vor fünf bis sechs Jahren noch zur internationalen Elite und wollten für die Schweiz nach Südkorea an die Olympischen Winterspiele. Doch eine schwere Krankheit von Marc Pfister, dem Skip, machte diesen Traum zunichte. Die Pfisters haben eine philippinische Mutter, genau wie Christian Haller, der seit Jahren auf nationalem Niveau curlt und 1999 im Final der Junioren-WM stand. Schon seit Jahren witzelten die drei darüber, eines Tages als philippinisches Nationalteam an Olympia aufzulaufen. Ein vierter Mitspieler aber fehlte.
Alan Frei – der «irre» Unternehmer
Es war Anfang 2023, als Christian Haller eher zufällig auf Alan Frei aufmerksam wurde, ein Schweizer Unternehmer, der nach dem Verkauf seiner Firma viel Geld verdient hatte und neue Vorhaben suchte. Der umtriebige, manchmal gern etwas verrückt handelnde Halb-Philippiner setzte sich zum Ziel, für das Heimatland seiner Mutter bei den Olympischen Winterspielen in Mailand anzutreten. Die Sportart musste er indessen noch finden. Insofern passte es, dass Christian Haller ihn kontaktierte und ihm die Idee präsentierte, es doch mit Curling zu versuchen. Ein Probespiel später war Alan Frei Feuer und Flamme (im olympischen Kontext nie verkehrt). Und das Curling-Team «Philippinen» war geboren.
Aus einer Idee wird Ernst
Die Hürden, die es nun zu überwinden galt, waren gewaltig. Und so richtig ernst wollte die Sache weiterhin noch keiner der vier nehmen. Gemeinsam belächelten sie einerseits den Wahnwitz des Vorhabens. Doch gründeten sie andererseits schnell den Philippinischen Curlingverband und liessen die Sportart vom Olympischen Komitee der Philippinen anerkennen. Hinzu kam: Zwei der Spieler, darunter auch Christian Haller, hatten noch nicht einmal die philippinische Staatsbürgerschaft, auch diese musste beantragt werden. Die grösste Hürde aber war: Alan Frei, brachte dieser doch keinerlei Curling-Erfahrung mit. Doch Frei begann – teils in zwei intensiven täglichen Trainingseinheiten – seine Curlingskills peu à peu aufzubauen. Zwar wird er auch so niemals an die jahrelange Erfahrung der anderen drei herankommen. Aber er würde als sogenannter «Lead» die ersten Guards legen oder mit perfekter Länge die Steine ins Zentrum des Zielkreises spielen. Die Position ist weniger spielentscheidend, dennoch braucht es eine solide Technik, um das Spiel mit den ersten Steinen erfolgversprechend zu eröffnen.
Das erste Turnier
Und so geschah es: Das erste Turnier führte die neu formierte Mannschaft im Herbst 2023 nach Prag. Ein einheitliches Tenue fehlte noch, als sie im ersten Spiel auf die Weltnummer 96 aus Italien trafen. Schnell lagen Haller & Co vermeintlich vorentscheidend im Rückstand, was die italienischen Fans im Gefühl des sicheren Sieges veranlasste, die Halle für eine Pause zu verlassen. Doch als sie zurückkehrten, hatten die vier Philippiner aus der Alpenrepublik das Blatt gewendet und stiessen auf ihren ersten Sieg an. Ein historisches Ereignis im philippinischen Wintersport. Zwar verlor das Team im Final, aber auf dem Rückflug – beinahe wäre er verpasst worden, da keiner mit dem Final gerechnet hatte – war das Gefühl da: Das könnte etwas werden. Oder wie es Christian Haller im Stile des zurückhaltenden ZKB-Bankers ausdrückt: «Ja, das war ganz ordentlich.»
«Die Chancen sehe ich bei 10 Prozent»
Der Weg ans olympische Turnier in Mailand ist allerdings weit. Die Philippiner müssen erst aus der Division B der Nordamerika/Asien-Gruppe in die Division A aufsteigen. Im letzten Herbst verpassten sie dies nur knapp, als sie im Final den Chinesen unterlagen. Diese waren allerdings als traditionelle Division-A-Mannschaft, die im Zuge von Corona in die Division B zwangsrelegiert worden war, stark favorisiert gewesen. Doch im nächsten Anlauf im Herbst 2024 soll diese Hürde genommen werden. Der Aufstieg berechtigt aber noch lange nicht zur Teilnahme in Mailand. Dafür müssen Haller und seine Mitspieler in einem Präqualifikationsturnier unter die ersten drei Teams gelangen, um danach im eigentlichen Qualifikationsturnier gegen weitere ambitionierte Nationen aus aller Welt um zwei zu vergebende Plätze in Mailand zu spielen. Acht Nationen sind jeweils aufgrund ihrer Weltranglistenpunkte gesetzt. «Ich schätze unsere Chance, dass wir im Februar 2026 in Mailand auflaufen, auf 10 Prozent», sagt Christian Haller. Doch 10 Prozent seien genug, um sich auf dieses Abenteuer einzulassen. «Wir haben einen guten Team-Spirit und viel Spass, sind locker und haben eigentlich nichts zu verlieren. Und wenn wir es schaffen sollten: Was für eine Geschichte!»
Auf Sponsoren-Suche
Reisen und Turniere kosten Geld. Im Sommer werden die vier Curler das gemeinsame Training in einer Halle in Baden intensivieren – und natürlich haben die Pfister-Brüder und Haller parallel weiterhin ihrer geregelten Arbeit nachzugehen. Auch aus diesem Grund haben sie einen professionellen Film-Trailer über ihr Abenteuer drehen lassen. Alan Frei versucht damit Sponsoren zu gewinnen, er möchte das ganze Abenteuer in einer filmischen Dokumentation festhalten. Der Trailer soll entscheidend helfen, eine Filmproduktionsfirma zu gewinnen.
Werden wir 2026 «Cool slidings» auf Netflix sehen? Wer weiss? Auf jeden Fall darf man gespannt sein, wie sich Christian Haller und sein helveto-philippinisches Team auf dem langen Weg nach Mailand schlagen. Die Chancen stehen bei 10 Prozent.