Unternehmensführung: Bei Purpose geht es um Haltung

Ein glaubhafter Purpose macht Unternehmen für Kundinnen und Mitarbeiter attraktiver. Welche gesellschaftsrelevanten Themen der Unternehmenszweck beinhalten sollte und wie das Streben nach Profit in dieses Konzept passt, erklärt Benjamin Gilgen, Experte für markengeführtes Wachstum und Transformation an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ).

Text: Andrea Schmits (AWP)

(Bild: zVg)

Das Thema «Purpose» beschäftigt Unternehmen. Was beinhaltet es?

Der Begriff «Purpose» stammt aus dem angelsächsischen Raum und hat sich dort als zusätzlicher Leuchtturm für die Unternehmensführung etabliert. Die englische Kürzestform «Why» fasst es gut zusammen: Wieso existiert ein Unternehmen, was ist der Unternehmenszweck und welche Ziele werden über die rein finanziellen Ziele hinaus verfolgt? Das primäre Ziel der Profitoptimierung oder des Stakeholder-Returns wird durch eine vertiefte Auseinandersetzung mit verantwortlichem Handeln ergänzt.

Zum Beispiel?

Unternehmen handeln zunehmend verantwortungsbewusst und nachhaltig – im ökologischen, sozialen und ökonomischen Sinne. Während ökologisches Bewusstsein schon seit den 80er Jahren gelebt wird, sind die langfristige ökonomische Perspektive und die soziale Verantwortung erst in den letzten Jahren in die Unternehmensstrategien eingeflossen. Viel Aufmerksamkeit haben etwa die Themen Vielfalt, Chancengleichheit und respektvolles, integratives Handeln erhalten. Die Bekämpfung von Diskriminierung am Arbeitsplatz hat dabei vielen Organisationen zu einem neuen Momentum verholfen.

Ist der Purpose ein Erfolgsfaktor?

Ja, er beeinflusst die positive Wahrnehmung eines Unternehmens stark, nach innen und nach aussen. Die Angebote sind heute vielfältiger, der Überfluss an Informationen omnipräsent, und die Kundinnen und Kunden sind informierter und anspruchsvoller als früher. Wer gesellschaftsrelevante Themen glaubhaft aufnimmt, wirkt frischer, moderner und innovativer. Das hilft auch bei der Suche nach Fachkräften. Besonders die jüngere Generation legt grossen Wert auf sinnstiftende Arbeit. Die Kundenloyalität wird durch den Purpose zusätzlich gestärkt.

In welchem Verhältnis steht Purpose zum Profit?

Auf lange Sicht werden Unternehmen, die nicht verantwortungsvoll oder ohne Purpose agieren, weniger Profite erwirtschaften. Insbesondere in einem Umfeld, das Transparenz und Authentizität verlangt, kommt verantwortungsloses Handeln rasch unter Druck. Unternehmen mit einem gut verankerten Purpose verzichten auch einmal auf eine Profitmöglichkeit, wenn sich diese nicht mit dem Purpose vereinbaren lässt. Da trennt sich die Spreu vom Weizen. Haltung, Glaubwürdigkeit und Authentizität sind das A und O.

Hat jedes Unternehmen einen höheren Nutzen für die Gesellschaft und kann gesellschaftsrelevante Themen glaubhaft integrieren?

Es gibt Unternehmen, die haben etwa Nachhaltigkeit, Inklusion oder Diversität als Unternehmenszweck definiert oder gar in ihrer DNA. Ich denke da zum Beispiel an Unternehmen in der Umwelttechnologie oder dem Gesundheitssektor. Es gibt also Sektoren, denen ein starker Purpose zugeschrieben wird. Anderen Sektoren hingegen viel weniger. Trotz umfassender Bemühungen, inklusive massiver kommunikativer Unterstützung, werden etwa den Industrien Tabak oder Öl und Gas die Bemühungen kaum positiv zugeschrieben. Eigentlich ist es ganz einfach: Einen guten Purpose spürt man, er fühlt sich richtig an.

Beschäftigt das Thema «Purpose» auch KMU?

Viele grosse Unternehmen haben in den letzten Jahren ihre Purpose-Ziele definiert und setzen diese jetzt um. Bei mittleren und kleinen Unternehmen ist diese Entwicklung weniger stark ausgeprägt – sie haben oft weder Zeit noch Ressourcen, um sich mit diesen übergeordneten Themen zu beschäftigen. Das heisst jedoch nicht, dass ihre Aktivitäten weniger Purpose haben. Die einen haben eben ein Papier, auf dem Purpose draufsteht, die anderen leben ihn schon immer.

Wie findet und definiert man einen Purpose?

Die Auseinandersetzung mit dem Purpose ist ein grosser Schritt. Er zwingt das Unternehmen, über technische Spezifikationen und Produkte hinauszudenken und sich mit sich selber und dem Umfeld auseinanderzusetzen. Das ist ein reinigender Prozess. Oft stellt man fest, dass man sich mit viel zu wenigen oder viel zu vielen Themen beschäftigt. Massnahmen werden nach aussen gar nicht wahrgenommen, weil die Prioritäten fehlen oder keine präzise Botschaften vermittelt werden. Fremdbild und Eigenbild haben leider ganz oft wenig gemeinsam. Dabei braucht es für die Definition kein seitenlanges Dokument. Meine Erfahrung ist: Alles, was nicht auf ein A5-Blatt passt, wird auch nicht umgesetzt.

Und was passiert danach?

Nach der Definition gilt es, den Transformationsprozess breit abzustützen und mit einem bunten Strauss an Massnahmen zu implementieren. Viele kleine Initiativen, idealerweise von den Mitarbeitenden initiiert und getragen, schaffen dabei mit ein bis zwei grösseren und massgeschneiderten Initiativen das notwendige Momentum für die Transformation. Die Umsetzung ist ein langer, intensiver Prozess, bei dem sich das Unternehmen auch immer wieder zwischen Profit und Purpose entscheiden muss.

Wie stark ist der Erfolg von der Unternehmerin oder dem Unternehmer abhängig?

Das Thema muss vom Führungsteam getragen und vorgelebt werden. Wie Kunden und Mitarbeitende das Handeln wahrnehmen, liegt ganz stark auch am Verhalten der Chefin oder des Chefs. Purpose ist kein Projekt, das man abschliesst, es geht um Haltung und kontinuierliche Verbesserung.

 

Benjamin Gilgen

Benjamin Gilgen ist Experte für markengeführtes Wachstum und Transformation. An der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) verantwortet er den Studiengang CAS Brand Leadership und doziert zu den Themen Markenstrategie, Markenportfolio und -architektur, Management von Brand-Ökosystemen und Markenführung bei Firmentransaktionen (M&A).