Das neue Erbrecht auf einen Blick
«Diesen Spielraum gilt es aber auch zu nutzen»: Stefan Reinhard, Leiter Erbschaften und Stiftungen bei der Zürcher Kantonalbank, erklärt die neuen Freiheiten beim Erbrecht.
Interview: Ina Gammerdinger
Erblasserinnen und Erblasser erhalten durch das neue Erbrecht mehr Freiheiten, über ihren Nachlass zu verfügen. Stefan Reinhard, Leiter Erbschaften und Stiftungen der Zürcher Kantonalbank, erklärt, welche Änderungen in Kraft getreten sind und wer was unternehmen sollte.
Wer profitiert von der Erbrechtsrevision?
Alle Personen, die ihr Vermögen nach ihren eigenen Wünschen vererben möchten. Durch das revidierte Erbrecht geniessen sie einen grösseren Gestaltungsspielraum.
Was heisst das konkret?
Die Pflichtteile – also die Mindestanteile am Erbe – von Eltern und Nachkommen werden verkleinert. Entsprechend können Lebenspartner oder Ehegatten sich gegenseitig besser absichern. Neu steht Nachkommen vom gesetzlichen Erbteil noch die Hälfte als Pflichtteil zu. Bisher waren es drei Viertel. Der Pflichtteil der Eltern fällt ganz weg. Jener des Ehepartners und des eingetragenen Partners bleibt unverändert bei der Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs.
Bitte ein Beispiel.
Die Situation bei einem verheirateten Paar mit einem Kind sieht folgendermassen aus: Nach Gesetz erbt der hinterbliebene Ehepartner die eine Hälfte des Nachlasses und das Kind die andere Hälfte. Der Pflichtteil des Ehepartners und des Kindes beträgt je die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs, also je einen Viertel des Nachlasses. Die übrigen 50 Prozent stehen zur freien Verfügung. Dies verschafft dem Erblasser eine grössere Freiheit bei der Vererbung seines Vermögens.
Also könnte der Erblasser im aufgezeigten Beispiel 50 Prozent auch einer gemeinnützigen Organisation vererben?
Richtig. Die eine Hälfte kann mit einem Testament oder Erbvertrag nach den eigenen Wünschen vererbt werden.
Wie stelle ich fest, wer was von meinem Vermögen erben würde?
Mit dem Erbrechner auf unserer Webseite kann online schnell ermittelt werden, wer von Gesetzes wegen wie viel erben würde. Die gesetzlichen Erbteile sind übrigens nicht von der Revision betroffen. Diese bleiben unverändert.
Muss ich ein bestehendes Testament anpassen?
Bestehende Testamente bleiben unter dem neuen Erbrecht zwar unverändert gültig. Es ist aber ratsam, die darin getroffenen Verfügungen im Hinblick auf das Inkrafttreten des neuen Rechts zu überprüfen und allenfalls anzupassen. Insbesondere wenn Nachkommen oder Eltern auf den Pflichtteil gesetzt wurden, empfiehlt es sich, zur Vermeidung von Auslegungsfragen in einem Testamentsnachtrag klarzustellen, ob der Pflichtteil nach bisherigem Recht oder nach dem neuen Recht berechnet werden soll. Für eine individuelle Überprüfung des Testaments kann unsere Dienstleistung ZKB Testament-Check in Anspruch genommen werden. Unsere Erbrechtsspezialisten kontrollieren dabei, ob das Testament formgültig ist und die getroffenen Anordnungen auch mit Blick auf das neue Erbrecht klar und verständlich abgefasst sind und dem letzten Willen der testierenden Person entsprechen.
Welchen Tipp geben Sie all jenen, die ihren Nachlass regeln möchten?
Sich frühzeitig damit zu befassen. Wer seinen Nachlass zu Lebzeiten regelt, kann sein Vermögen entsprechend seinen Vorstellungen vererben. Zudem gibt es Sicherheit, wenn die Liebsten abgesichert sind. Es gibt nichts Schlimmeres für die Hinterbliebenen, als wenn die ungeregelte Erbfolge zu Unstimmigkeiten in der Familie führt. In unserer Erbschaftsberatung erhalten Interessierte einen Überblick über die gesetzliche Ausgangslage und die Gestaltungsmöglichkeiten. Gemeinsam mit der Kundschaft erarbeiten wir eine Lösung, die deren Bedürfnissen bestmöglich erfüllt. Ich lege solch eine Beratung allen ans Herz, die ihren Nachlass nach den eigenen Wünschen gestalten möchten. Dank dem neuen Erbrecht kann nun noch freier über das Vermögen verfügt werden. Diesen Spielraum gilt es aber auch zu nutzen.