Nach der AHV ist nun die zweite Säule dran

Die Reform der AHV hat das Stimmvolk 2022 gutgeheissen. Nun soll auch die berufliche Vorsorge angepasst werden. Wir zeigen Ihnen anhand von drei Fragen und Antworten die wichtigsten Punkte der Reform auf – und Finanzplanerin Sonja Mehmann ordnet sie aus fachlicher Sicht ein.

Text: Patrick Steinemann / Illustrationen: Maria Salvatore | aktualisierter Beitrag aus dem Magazin «Meine Vorsorge» 3/2023, ursprünglich publiziert am 22.09.2023

Themenbild zur BVG-Reform
Durch die Reform der beruflichen Vorsorge sollen Personen in Teilzeit und mit niedrigem Einkommen besser gestellt werden. (Bild: Getty Images)

Immer wieder neue Baupläne und Revisionen, Spatenstiche und Bauunterbrüche, Kostenüberschreitungen und Einsparungsversuche, Anbauwünsche und Abrissbestrebungen: Die Altersvorsorge in der Schweiz ist seit den ersten Planungsschritten vor fast 100 Jahren eine politische und gesellschaftliche Baustelle der besonderen Art.

Immerhin werden am «3-Säulen-Haus» zwischendurch auch einzelne Elemente fertig gestrichen – zumindest bis zur nächsten Renovation: 2022 hiess das Stimmvolk die Reform AHV 21 für die erste Säule an der Urne gut. Und im Frühjahr 2023 verabschiedeten die eidgenössischen Räte die Reform der zweiten Säule, dem Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG). Am 22. September 2024 kommt die Vorlage zur Abstimmung.

Wieso will die Politik eine BVG-Reform?

Wie auch über einen längeren Zeitraum bei der AHV sind beim BVG frühere Reformversuche gescheitert, zuletzt 2017. Das Parlament hat sich seitdem in jahrelangem Seilziehen um eine neue Reform bemüht, denn die Gründe dafür sind offensichtlich: Die Lebenserwartung der Menschen steigt und damit die Auszahlungsdauer der Renten. Zugleich führten die Schwankungen an den Finanzmärkten und die niedrigen Zinsen in den letzten Jahren zu immer knapperen Einnahmen und setzten die Pensionskassen (PKs) unter Druck.

Sonja Mehmann, Finanzplanerin Zürcher Kantonalbank

Es ist wichtig, dass wir zur langfristigen Sicherung unserer beruflichen Vorsorge auch im obligatorischen Bereich Anpassungen vornehmen.

Sonja Mehmann, Finanzplanungsexpertin Zürcher Kantonalbank (Bild: Simon Baumann)

Das Ziel der im März 2023 vom National- und Ständerat gutgeheissenen BVG-Reform ist es deshalb, die PK-Leistungen zu erhalten und die Finanzierung der zweiten Säule zu stärken. Zusätzlich soll der Versicherungsschutz vor allem für Geringverdienende und Teilzeiterwerbende im BVG-Obligatorium verbessert werden. Zwar hätten die meisten PKs mit Versicherten im überobligatorischen Bereich (siehe Begriffsklärung unten) ihre Hausaufgaben in den letzten Jahren gemacht und ihre finanzielle Situation aus eigener Kraft verbessert, meint dazu Sonja Mehmann, Finanzplanerin bei der Zürcher Kantonalbank. «Es ist jedoch wichtig, dass wir zur langfristigen Sicherung unserer beruflichen Vorsorge auch im obligatorischen Bereich Anpassungen vornehmen.»

Obligatorium und Überobligatorium im BVG

Das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) legt fest, welche Arbeitnehmenden einer Vorsorgeeinrichtung (Pensionskasse/PK) angeschlossen sein müssen und welche Leistungen diese mindestens erbringen muss – das sogenannte Obligatorium. Als Überobligatorium werden jene Leistungen bezeichnet, die über das BVG-Obligatorium hinausgehen (Säule 2b). In der Praxis sind nur wenige Arbeitnehmende ausschliesslich nach BVG versichert.

Illustration zum Thema BVG-Reform

Mit welchen Massnahmen sollen die genannten Ziele erreicht werden?

  1. Der Mindestumwandlungssatz der obligatorischen Altersvorsorge soll gesenkt werden. Aktuell beträgt dieser 6,8 Prozent, neu würde er noch 6 Prozent betragen. Das heisst, pro 100'000 Franken Altersguthaben würden im obligatorischen Teil des BVG statt 6'800 noch 6'000 Franken Rente pro Jahr ausbezahlt. «Geschützt würden durch den tieferen Umwandlungssatz vor allem die jungen Versicherten in den BVG-nahen Pensionskassen, zu deren Lasten die heutigen Leistungen finanziert werden», erklärt Sonja Mehmann. In der Praxis rechnen jedoch nur etwa 10 bis 20 Prozent der PKs mit Umwandlungssätzen nahe der gesetzlichen Mindestvorgabe für BVG-Vorsorgeguthaben. Die meisten Versicherten hätten genug überobligatorisches Vorsorgekapital, so Sonja Mehmann. «Darauf können und dürfen PKs schon bisher niedrigere, realistischere Umwandlungssätze anwenden.» Die geplante Rentenkürzung wird dadurch etwas relativiert.

  2. Der Sparprozess soll durch die Reform verstärkt werden. Grundsätzlich spart bei der 2. Säule jede versicherte Person für ihre eigene Rente, unterstützt durch die Beiträge des Arbeitgebers. Damit ein Jahreslohn versichert ist, muss er aktuell eine «Eintrittsschwelle» von 22'050 Franken überschreiten. Neu soll diese Schwelle auf 90 Prozent des bisherigen Betrags – konkret 19'845 Franken – sinken. Dadurch würden Teilzeitbeschäftigte – in der Praxis häufig Frauen – und Personen mit Jobs bei mehreren Arbeitgebern bessergestellt, oder sie erhalten überhaupt erstmals die Möglichkeit für einen Pensionskassenanschluss.

    Da zudem auch der sogenannte «Koordinationsabzug» gesenkt werden soll (von heute fix 25'725 Franken auf neu 20 Prozent des Bruttoeinkommens bis 88'200 Franken), wären niedrige Löhne künftig besser versichert. «Diese würden im Alter also mehr Rente generieren – wenn auch zum Preis von höheren Lohnabzügen während des Erwerbslebens», erklärt Sonja Mehmann.

    Vereinfacht werden soll schliesslich auch die Abstufung bei den Altersgutschriften. Während bisher die Lohnbeiträge in vier Schritten von 7 auf 18 Prozent anstiegen, soll es nach der Reform nur noch zwei Stufen geben: 9 Prozent bis zum Alter 44 und 14 Prozent bis zum Alter 65. «Das Ziel dieser Massnahme ist es, die Lohnnebenkosten der Unternehmen für ältere Arbeitnehmende zu senken und diese auf dem Arbeitsmarkt attraktiver zu machen», so Sonja Mehmann.

  3. Die Übergangsgeneration soll einen Rentenzuschlag erhalten. Um eine Reduktion der Renten durch den tieferen Umwandlungssatz zu verhindern, sollen die ersten 15 Jahrgänge nach Inkrafttreten der BVG-Reform Rentenzuschläge zwischen 100 und 200 Franken pro Monat erhalten. Profitieren von diesen Kompensationen dürften vor allem Personen mit tiefen Löhnen und niedrigen Pensen.

    Die dafür anfallenden Kosten von rund 11 Milliarden Franken sollen über Rückstellungen der PKs, den BVG-Sicherheitsfonds und zusätzliche Lohnabzüge bei den Erwerbstätigen und Arbeitgebern finanziert werden. Sonja Mehmanns Einschätzung dazu: «Das Ziel des Gesetzgebers ist, dass Versicherte mit tieferen Leistungen nach der Reform eine Kompensation erhalten. Die Herausforderung besteht darin, dass die Zuschläge dort ankommen, wo sie effektiv gebraucht werden oder gerechtfertigt sind und effektiv Reduktionen resultieren.»

Welche Auswirkungen hat die BVG-Reform für die Arbeitgeber und die Versicherten?

Diese Frage ist nur individuell zu beantworten, da jede PK-Rente von der persönlichen Lohnsituation, den über die Jahre geleisteten Einzahlungen, dem Alter und der finanziellen Situation der jeweiligen Pensionskasse abhängig ist. Generell wird die Reform wohl für viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu Mehrkosten in Form von höheren Beiträgen respektive Lohnabzügen führen. «Mit der vorliegenden Revision sind zwar nicht alle Probleme der zweiten Säule gelöst», lautet das Fazit von Vorsorgespezialistin Sonja Mehmann. Auch sei die Umsetzung der vorliegenden Reform sehr komplex, und es gebe noch viele Unklarheiten. «Grundsätzlich sind Anpassungen beim BVG aber unausweichlich.» Wie auch bei der AHV sei der aktuelle Reformprozess beim BVG vermutlich nicht abgeschlossen, wenn bereits die nächsten Änderungen in Angriff genommen werden müssten. Die Baugerüste am «3-Säulen-Haus» der Schweizer Altersvorsorge bleiben also so oder so weiterhin stehen.

Welche Änderungen bringt die BVG-Reform für Arbeitgeber?

Ein grösserer Personenkreis ist versichert: Durch die Senkung der Eintrittsschwelle (siehe Haupttext) wären neu Angestellte mit einem Jahreslohn von 19'845 Franken (bisher: 22'050 Franken) obligatorisch dem BVG unterstellt. Nach Berechnungen des Bundes sind davon rund 100'000 Personen betroffen: Neu in der zweiten Säule versichert wären rund 70'000 Personen, 30'000 Personen wären besser versichert.

Die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge ändern sich: Durch die Anpassung des Koordinationsabzuges und die Neugestaltung der Staffelung der Altersgutschriften (siehe Haupttext) ändern sich die Sparbeiträge für die Angestellten und die Arbeitgeber.

Neuerungen in der 2. Säule per 1.1.2024

Unabhängig von der im Frühling 2024 zur Abstimmung kommenden BVG-Reform sind weitere Anpassungen in der 2. Säule bereits beschlossen und treten per 1. Januar 2024 in Kraft:

  • Referenzalter 65 für Männer und Frauen
  • Möglichkeit, drei Teilpensionierungsschritte mit jeweils einem Teilkapitalbezug zu vollziehen

Ausserdem werden die Bezugsbedingungen von Freizügigkeitsguthaben ab 1. Januar 2024 an diejenigen der Säule 3a angepasst, das heisst, es gibt keinen Aufschub des Bezugs über das Referenzalter hinaus ohne weitere Erwerbstätigkeit. Der Bundesrat hat eine Übergangsfrist von fünf Jahren beschlossen, während der die Auszahlung von Freizügigkeitsguthaben aufgeschoben werden kann, ohne dass die Erwerbstätigkeit fortgeführt wird.

Illustration zum Thema BVG-Reform

Drei Tipps zur beruflichen Vorsorge

  1. 1 Informieren Sie sich über Ihre Situation bei der 2. Säule: Der von Ihrer Pensionskasse erstellte Vorsorgeausweis gibt Auskunft über Ihr aktuelles Altersguthaben und die voraussichtlichen Rentenleistungen. Studieren Sie diese Informationen genau und lassen Sie sich bei Bedarf durch eine Fachperson beraten.
  2. 2 Prüfen Sie als versicherte Person Einkäufe in die Pensionskasse: Mit Einkäufen, also freiwilligen Einzahlungen in die PK, können Sie Beitragslücken schliessen und Ihre Altersleistungen verbessern. Dabei profitieren Sie auch von steuerlichen Vorteilen. Prüfen Sie vor einem Einkauf jedoch die steuerlichen- und vorsorgerechtlichen Rahmenbedingungen.
  3. 3 Überprüfen Sie als Arbeitgeber Ihre Vorsorgelösung: Nutzen Sie den Zeitpunkt, um die aktuelle Vorsorgelösung Ihres Betriebs einem Vergleich zu unterziehen und die Leistungen generell anzupassen, damit Sie als Arbeitgeber weiterhin attraktiv bleiben. Gerne nehmen wir kostenlos eine Analyse Ihrer BVG-Situation vor.