«Eine Bankdienstleistung kann ich nicht einfach schön verpacken»
Die Arbeit von Monica Dreyer, Leiterin Markenführung und Marketing der Zürcher Kantonalbank, ist preiswürdig: Im Interview spricht sie darüber, wie sich Lehre und Praxis gegenseitig befruchten, weshalb irrationales menschliches Verhalten spannend ist und warum ihr die Zürcher Kantonalbank lieber ist als ein Love Brand wie Apple.
Interview: Patrick Steinemann / Bilder: Gabriele Griessenböck
Herzliche Gratulation: Ihnen ist der «Swiss Academy of Marketing Science Award 2021» verliehen worden! Für alle Nicht-Marketing-Insider: Was tut diese Academy?
Die Swiss Academy of Marketing Science wurde von Marketingwissenschaftlern der Schweizer Universitäten gegründet. Im Zentrum steht der intensive Austausch zwischen Marketingwissenschaft und -praxis. Das Ziel der Academy ist es, die Qualität des Marketings in der Schweiz zu fördern und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft zu stärken. Die Academy führt auch den jährlich stattfindenden Markenkongress durch, an dem sich über 500 Markenentscheider treffen und sich zu Entwicklungen der Branche austauschen und ihr Netzwerk pflegen.
Was bedeutet der Erhalt dieses Preises für Sie?
Ich freue mich über diese Anerkennung und fühle mich sehr geehrt – insbesondere, weil es kein kommerzieller Preis ist. Im Vorstand sitzen Marketing-Professorinnen und -Professoren, deren Forschung ich seit vielen Jahren verfolge.
Es geht beim Preis auch um die Zusammenarbeit von Lehre und Praxis. In Ihrem Fall stand das Vorsorgeprodukt frankly im Zentrum …
… wobei aber nicht das Produkt ausgezeichnet wurde, sondern der Einbezug von Erkenntnissen aus der Forschung in eine Vermarktungsstrategie.
Was ist der Jury am Projekt frankly besonders aufgefallen?
Als wir die Launch-Kampagne für frankly entwarfen, haben wir uns gefragt, wie wir die Menschen für das Thema Vorsorge am besten aktivieren. Aus Studien wissen wir, dass kaum jemand die Wichtigkeit einer Säule 3a anzweifelt. Es gibt aber immer noch zu viele, die nicht oder nicht regelmässig einzahlen oder sich zu wenig darum kümmern, was mit ihrem Geld geschieht. Hier kommt die Forschungsrichtung der Behavioral Economics ins Spiel …
… die sich mit dem menschlichen Entscheidungsverhalten befasst …
… genau, vor allem mit den irrationalen Aspekten unseres Tuns. Mit Unterstützung von Professorin Johanna Gollnhofer vom Institut für Marketing und Consumer Insight der Hochschule St. Gallen und ihrem Team konnten wir die dort erzielten Forschungsergebnisse nutzen, um etwa unsere Kampagnen-Headlines entsprechend zu formulieren. Für deren Validierung haben sie für uns auch Markttests durchgeführt. Es war also ein ideales Zusammenspiel von Praxis und Forschung.
Sie haben auch sonst einen Bezug zur Lehre: Sie halten Marketing-Vorlesungen an der Hochschule St. Gallen und engagieren sich als Expertin für eidgenössische Marketingprüfungen. Wie kam es dazu?
Als ich vor 25 Jahren an der Universität Zürich studierte, gab es noch keine Vorlesungen mit Expertinnen und Experten aus der Praxis. Wir lernten allein die Theorie – entsprechend gross war das Erwachen im ersten Job. Ich hätte es sehr geschätzt, Wissen aus der Praxis zu erhalten und möchte deshalb heute meinen Beitrag dazu leisten. Als mich Johanna Gollnhofer von der HSG anfragte, habe ich deshalb sofort zugesagt. Hätte ich mehr Zeit, würde ich das noch viel häufiger tun. Für mich ist es sehr bereichernd, insbesondere der interessierte Austausch mit den Studentinnen und Studenten.
Welche entscheidenden Anstösse konnte die Marketing-Lehre der Praxis in den letzten Jahren geben?
Eine entscheidende Grundlage ist sicher die bereits erwähnte und durch den Nobelpreisträger Daniel Kahneman fundierte Theorie der Behavioral Economics. Sie beschreibt eben, dass der Mensch nicht immer ein rationales Wesen ist und dass dies einen entscheidenden Einfluss auf seine Entscheidungen und sein Verhalten hat. Die Lehre beschäftigt sich aber auch mit technologischen Entwicklungen, etwa der Künstlichen Intelligenz oder Chatbots. Sie gibt der Praxis damit Anstösse, in welche Richtung sich das Marketing entwickeln wird. Die Lehre zeigt auch auf, dass das Marketing eine klassische Querschnittsdisziplin ist und sich auf verschiedenste Grundlagen stützt – das geht bis hin zur Neurologie.
Ein weiterer Grund für die Verleihung des Preises ist Ihre langjährige erfolgreiche Marketing- und Markentätigkeit für eine der grossen Marken der Schweiz – die Zürcher Kantonalbank. Was sind für Sie die Höhepunkte Ihres Wirkens für die Bank?
Oh, da gab es einige! Begonnen hat alles mit dem ersten Marken-Redesign 2011 und dem damit verbundenen Aufbau der Markenführung in der Bank. Später kam der Auf- und Ausbau des digitalen Marketings inklusive Social Media dazu. Weiter ging es mit der Integration der Marke Swisscanto, der Markenweiterentwicklung 2018 und der damit verbundenen Definition der Werte und des Leitbilds der Bank sowie der Zusammenführung aller Marketingeinheiten unter einem Dach …
… Sie holen Luft, also geht Ihre gedankliche Höhenwanderung noch weiter …
(lacht) … das lässt sich bei einem Rückblick auf mehr als 16 Jahre bei der Zürcher Kantonalbank fast nicht vermeiden! Erwähnen möchte ich noch das Büro Züri, den Ausbau von 20 Marketing-Touchpoints auf heute über 40, das 150-Jahr-Jubiläum der Bank – und dessen Vollstopp wegen der Corona-Pandemie – die Verabschiedung unserer Marketing-Ambition 2025 und schliesslich den Launch unseres jüngsten Babys: frankly. Natürlich wäre dies alles nicht möglich gewesen ohne ein super engagiertes und begeistertes Team – alles absolute Spezialistinnen und Spezialisten auf ihrem Gebiet und zu 100 Prozent für die Bank engagiert. Dazu beigetragen haben aber auch die grosse Entscheidungsfreiheit und das Vertrauen, das ich geniessen durfte und darf – alles zusammen wirklich ein Privileg.
Sie haben die meiste Zeit Ihres beruflichen Lebens in der Bankenwelt verbracht. Was ist für Sie der Reiz dieser Branche aus Sicht einer Marketingexpertin?
Meine Arbeit ist mir in all den Jahren nie langweilig geworden, denn es ist eine besondere Herausforderung, eine Bank und deren Produkte und Services zu vermarkten. Das hat verschiedene Gründe: Zunächst einmal ist es eine Dienstleistung, die ich nicht bloss schön verpacken, ins Regal stellen und qualitativ standardisieren kann. Dann ist es ein spezieller Reiz, teilweise abstrakte Produkte mit positiven Emotionen aufzuladen – da hat man es mit einem Tesla, den Malediven oder einem iPhone bedeutend einfacher. Und schliesslich brauchen die Menschen unsere ertragreichsten Produkte nicht jeden Tag. Trotzdem ist die Konkurrenz gross und die Angebote heute vergleichsweise austauschbar.
Hand aufs Herz: Hat es Sie nie gereizt, ein anderes als ein Finanzunternehmen zu vermarkten und zu positionieren?
Natürlich! Deshalb habe ich auch fünf Jahre als Beraterin in der Schweiz und in Deutschland für verschiedenste Unternehmen gearbeitet – von NGOs bis hin zu Regierungsbehörden. Diese Zeit und die wertvollen Erfahrungen in diesen Branchen möchte ich nicht missen. Die grossen Love Brands wie Nike oder Apple finde ich allerdings aus beruflicher Sicht nicht besonders reizvoll – sie verkaufen sich heute fast von selbst und bieten wenig Spielraum für Veränderung. Da gibt es bei den Finanzunternehmen noch weit mehr Möglichkeiten und Herausforderungen. Deshalb bin ich auch nach wie vor happy in unserer Branche.
Wenn Sie es auf eine kurze Formel bringen müssten: Worauf kommt es beim Marketing vor allem an?
Erfolgreiches Marketing entsteht heute aus dem optimalen Mix aus Strategie, Kreativität und Technologie. Dies alles im Dienst des Mehrwerts für die Kunden und damit für die Bank. Wir nennen unseren Ansatz denn auch «Kundenwertbasiertes Marketing».
Was treibt Sie bei Ihrer Arbeit an, was entfacht das innere Feuer bei Ihnen immer wieder von Neuem?
Meine Faszination für das menschlichen Entscheidungsverhalten und wie wir es auf eine positive Weise beeinflussen können, die derzeitige unglaubliche Dynamik im Bereich der technologischen Möglichkeiten, und ein Team, mit dem ich immer wieder Neues gestalten und weiter wachsen kann.