Auge auf!
Verkopft: In der dritten Folge der Kunstserie stellt Irja Böhm von der Kunst Fachstelle ihr besonderes Kunstwerk vor.
Text: Markus Wanderl / Bilder: Flavio Pinton
Blicke auszuhalten ist Teil des Täglichen. Doch im Büro der Fachstelle Kunst der Zürcher Kantonalbank wird es derzeit auf die Spitze getrieben. Denn in die Vorderseite der dreidimensionalen Arbeit der Künstler Andres Lutz und Anders Guggisberg sind zwei grosse Augen integriert, und diese blicken nun einmal unbeirrt in Richtung der Tür.
Dieses Werk war letztes Jahr länger Bestandteil einer Ausstellung im Kunstmuseum Winterthur – Irja Böhm aus dem Team von Chris Sandercock, Leiterin Fachstelle Kunst, stellt es hier im dritten Teil der Kunstserie zu den Neuankäufen 2020 vor.
Humor verbunden mit Tiefgang, das ist es, was Irja Böhm an diesem sogenannten Presskopf so gefällt – so viel sei schon angedeutet. Er entstand, indem Gips und himbeerfarbener Wachs in eine etwa eimergrosse Form gegeben und diese dann mit Abfallprodukten befüllt wurde, nach dem Herauslösen aus der Schale wurden weitere Objekte und Utensilien hinzugefügt.
«Oh my God I'm full of Plans!», so lautet der Titel dieses Werks von Lutz & Guggisberg. Aber es kann durchaus sein, dass die beiden Künstler ihrem Werk in diesen Sekunden einen neuen Titel geben. Manchmal tun die beiden das. Weil es nun einmal so ist, dass einem manchmal später etwas einfällt, was den Geistesblitz von ehedem noch übertrifft. Es muss nicht immer alles in Stein gemeisselt sein.
Also: dieser Blick! Hier bildet das Augenpaar der Fuss eines Lampenhalters und ein grosser Holzknopf. Aber das ist eben längst nicht alles. Irja Böhm findet dafür den wunderbaren Satz: «Es passiert wahnsinnig viel in diesem nicht allzu grossen und doch irgendwie riesigen Werk.» Kann Irja Böhm, die sehr viel rund um die angekauften Kunstwerke organisiert, ihr besonderes Kunstwerk also überhaupt aus den Augen lassen? Sie lacht und formuliert wieder schön: «Dieses Werk wirft mir einfach allerhand an den Kopf.» Was bleibt also, ausser: Bühne frei.
«Mir ist bewusst, dass dieses Kunstwerk polarisieren kann. Doch die meisten, die es sich bei uns angeschaut haben, sind fasziniert gewesen. Mich hat das Werk sofort überwältigt, als ich es das erste Mal in echt gesehen habe.
Es war so: Als die Arbeit geliefert wurde, habe ich sie zusammen mit Andres Lutz, einem der beiden Künstler, ausgepackt. Ich erfuhr viel über die Idee, über den Entstehungsprozess. Hinzu kommt: Andres Lutz ist erfrischend – und witzig. Und Humor ist etwas, was den Menschen für mich besonders macht! Und Tiefgang! Wunderbar, dass beides in diesem Werk vereint ist!
Es sind die vielen Details, die manchmal augenzwinkernd, manchmal kritisch Bezüge zu unserem alltäglichen Leben herstellen. Der kleine grüne Tannenbaum etwa fand sich früher wohl auf jeder Märklin-Anlage. Ganz sicher jedenfalls auf jener meines Bruders. Dies führt uns auch zu einem kunstgeschichtlichen Kontext dieses Werks – das «objet trouvé» spielt mit der Verwendung gewöhnlicher Gegenstände.
Auf den ersten Blick und einerseits erscheint es wie ein Kopf voller Ideen, voller Kreativität. Oder eben: wie ein Kopf kreativen Durcheinanders. Dass dies mit einem so bunten Mix an Dingen wie einem Lampenhalter, Styroporstücken, einer Flasche Zitronensaftkonzentrat und eben Modelleisenbahnzubehör dargestellt ist – herrlich! Mir gefällt an diesem Werk überhaupt, dass sich ganz viele Sachen finden, sie müssen eben bloss entdeckt werden, und dies gelingt nur dann, wenn man es von allen Seiten und auch von oben anschaut. Es ist kein Werk, das ich ausschliesslich geradeaus, also von einem Blickwinkel aus betrachte und dann denke: schön. Sondern es fordert – und darauf muss man sich einlassen wollen!
Dann nämlich öffnen sich weitere Interpretationsräume; und liegt der Gedanke näher, dass hier andererseits bewusst mit dem Klischee von Kreativität gespielt wird. Wie andauernd sie in unserer Arbeitswelt abverlangt wird, wissen wir alle. Kreativität, hier, da und dort … Überhaupt auch der Künstlerin und dem Künstler wird unterstellt, in jeder Sekunde des Lebens kreativ zu sein. Das trotz dieses vollgepackten Kopfes nicht offenkundig, sondern subtil zu ironisieren, finde ich eine witzige Idee. Und dass ich über das alles nachzudenken angeregt werde, macht das Werk für mein Empfinden erst recht so gelungen.»
Über das Künstlerduo
Seit rund 25 Jahren arbeiten Andres Lutz (*1968) und Anders Guggisberg (*1966) unter dem Label Lutz & Guggisberg zusammen. Für ihr äusserst vielseitiges Schaffen bedienen sie sich praktisch der ganzen Palette einschliesslich der Medien von der klassischen Malerei und Skulptur über Fotografie bis hin zur Musik, der Sprache und Performance. Ihre Werke erzeugen immer wieder Spannungsfelder und bringen Unordnung in die Ordnung – immer begleitet von jenem schon erwähnten: Augenzwinkern.