«Es fühlte sich lediglich als das an, was es war: Eine Rückreise am Ende eines Abenteuers»
Um vor Ort eigene Entwicklungsprojekte voranzutreiben, ist Laura Münger 2023 mit ihrem Ehemann und den drei Kindern in die Demokratische Republik Kongo ausgewandert. Inzwischen ist die Familie in die Schweiz zurückgekehrt – reich an schönen Erfahrungen und an herausfordernden Erlebnissen.
Interview: Adrian Vonlanthen
Abenteuer Auswanderung, erst recht, wenn diese in ein Land mit sozialen Unruhen, Wasser- und Strommangel führt. Laura Münger und ihre Familie hatten die DR Kongo, das Heimatland ihres Ehemannes und Vaters, bereits mehrmals bereist und kannten die Herausforderungen vor Ort, trotzdem wagte die Bieler Familie den Neustart in der zentralafrikanischen Republik. Was sie in dieser Zeit geprägt und inwiefern die Zürcher Kantonalbank unterstützt hat, erfahren Sie im Interview.
Laura Münger, warum hatten Sie sich entschieden, auszuwandern?
Während der Corona-Pandemie 2020 begannen mein Mann und ich erstmals darüber nachzudenken. Wir wohnten im Haus meiner Schwiegereltern in einem ruhigen Dorf nahe Biel und hatten ein angenehmes Leben. Trotzdem belastete uns die Routine und das Gefühl, eingesperrt und fremdbestimmt zu sein. Als sich meine Schwiegermutter, die ursprünglich aus der DR Kongo stammt, frühpensionieren liess, kam das Heimatland meines Ehemannes als mögliches Auswanderungsziel ins Gespräch.
Welchen Bezug hatten Sie damals zum Land?
Meine Schwiegerfamilie stammt aus der DR Kongo. 2014 besuchte ich die DR Kongo erstmals mit meinem Mann und gründete mit meiner Schwiegermutter die NGO «Ekimeli». 2016 bauten wir als erstes Projekt eine Schule in Kasangulu. Heute besuchen unsere Schule über 600 Kinder und Jugendliche – vom Kindergarten bis zum Studiengang, der vergleichbar ist mit einer Ausbildung am Gymnasium in der Schweiz. Von der Auswanderung versprachen wir uns mehr Familienzeit, einen selbstbestimmteren Lebensstil und die Möglichkeit, unsere beruflichen Projekte vor Ort voranzutreiben. Zudem wollten wir unseren drei Söhnen ihre kongolesischen Wurzeln näherbringen.
In der DR Kongo herrschen seit Jahren Konflikte und Bürgerkriege. Hatten Sie nie Bedenken?
Seit 30 Jahren dauert ein Genozid an. Im Osten des Landes sollen bereits mehr als sechs Millionen Menschen gestorben sein. Wegen der wertvollen Rohstoffe wird die Region ausgebeutet und jene, welche die Macht hätten, die Konflikte zu beenden, haben kein Interesse daran. Ich reiste 2014 erstmals in die DR Kongo, meine Familie hatte grosse Sorgen, zumal das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) von Reisen dorthin abrät. Aufgrund meiner Erfahrungen in anderen Entwicklungsländern war die Reise für mich jedoch kein Kulturschock. Meine Ängste wichen der Faszination fürs Land. Die DR Kongo ist ein riesiges Land und das Konfliktgebiet liegt weiter entfernt von Kasangulu als die Schweiz von der ukrainischen Grenze.
Natürlich haben wir uns auch Sorgen um das Wohlbefinden unserer Kinder gemacht. Nicht zuletzt aufgrund der abenteuerlichen Transportwege und der rudimentären medizinischen Versorgung, die bei Weitem nicht dem Schweizer Standard entspricht.
Wie hatte sich Ihr Alltag in Kasangulu verändert?
Er unterschied sich komplett von dem in der Schweiz. Wir nahmen uns zum Beispiel viel mehr Zeit fürs Frühstück. Häufig kauften wir dafür in einem kleinen Laden nebenan die Lebensmittel ganz frisch ein, wie Eier für Omeletten, Baguette oder frisch gepflückte Papayas, Mangos, Ananas oder Bananen. Tagsüber arbeiteten wir in der Schule Ekimeli: Ich bildete das Schulpersonal weiter und optimierte Abläufe und Prozesse der Organisation, während mein Mann, der in der Schweiz im Sicherheitsdienst arbeitete, junge Männer zu Sicherheitsleuten ausbildete und die Infrastruktur pflegte.
Unsere drei Jungs spielten häufig stundenlang Basketball, auf dem Spielfeld, das wir neu im Hof der Schule Ekimeli errichtet hatten, oder sie erkundeten die Umgebung. Gemeinsam versuchten wir uns kreativ und spielerisch den Lernzielen des schweizerischen Lehrplans anzunähern. Der Alltag forderte uns jedoch immer wieder aufs Neue heraus mit Problemen, die wir in der Schweiz nicht kennen. Kein fliessendes Wasser, fehlender Strom, heisse Temperaturen. Alltägliche Arbeiten wie den Abwasch zu machen oder Kleider zu waschen, waren sehr zeitintensiv.
In Afrika läuft vieles anders als in der Schweiz. Wie unterscheidet sich das Banking?
In der DR Kongo gibt es nur wenige Banken. Das Land nutzt zwei Währungen: den US-Dollar und den kongolesischen Franc, wobei letzterer abgesehen von den grossen Städten das bevorzugte Zahlungsmittel ist. Nach einem Monat begann ich, mit dem Buchhalter der Schule Ekimeli zu arbeiten und die Finanzflüsse zu optimieren. Die Wechselkurse im Vergleich mit dem Schweizer Franken im Auge zu behalten, fiel anfangs schwer. Ein Dollar entspricht aktuell rund 28'000 kongolesischen Franc, wobei nur Banknoten existieren. So kam es regelmässig vor, dass ich für die Lohnzahlung von rund 30 Mitarbeitenden der Schule Ekimeli mit Banknoten vollgepackte Reisekoffer transportierte.
An den Bankautomaten sind häufig nur Dollar in begrenzter Menge verfügbar. So mussten wir für grössere Beträge manchmal mehrere Bankautomaten aufsuchen, um an ausreichend Bargeld zu gelangen. Allerdings wächst das Bankenwesen mit der steigenden Zahl an internationalen Konzernen und ausländischer Investoren. Banking in der DR Kongo wird in ein paar Jahren einen höheren Stellenwert haben, glaube ich.
Wie hat Sie die Zürcher Kantonalbank im Auswanderungsprozess unterstützt?
Seit meinem 18. Lebensjahr war ich Kundin bei derselben Bank. Als unsere Auswanderungspläne konkreter wurden, erfuhr ich von meiner Kundenberaterin, dass die DR Kongo auf der roten Liste der Bank stehe, ich mein Konto deshalb nicht weiterführen könne. Das hat mich sehr überrascht. Dank meiner Mitgliedschaft bei der Auslandschweizer-Organisation Soliswiss erfuhr ich, welche Banken Auswanderinnen und Auswanderer unterstützen. Ich beantragte bei zwei Banken eine Aufnahme und wurde umgehend von der ZKB kontaktiert. Das persönliche Gespräch fand knapp eine Woche vor der Auswanderung statt, sodass die Kontoeröffnung und Ausstellung der Bankkarte erst nach unserer Ausreise möglich waren. Meine Kundenberaterin setzte sich jedoch dafür ein, dass ich die wichtigsten Unterlagen und die Bankkarte so schnell wie möglich erhalten hatte. Der Bargeldbezug und die Kartenzahlungen in der DR Kongo funktionierten reibungslos, und ich fühlte mich jederzeit gut beraten und begleitet.
Gemeinsam mit Ihrer Schwiegermutter haben Sie Ende 2013 die NGO Ekimeli gegründet. Sie haben sich bereits vor der Auswanderung seit zehn Jahren ehrenamtlich für die NGO Ekimeli engagiert. Wie wollten Sie das Projekt mithilfe Ihrer Auswanderung vorantreiben?
Unsere Schule eröffnete 2016 mit knapp 100 Schülern und wuchs stetig, sodass wir an Kapazitätsgrenzen stiessen. Im Mai 2023 starteten wir ein Crowdfunding, um 20'000 Franken für den Ausbau zu sammeln, und übertrafen dieses Ziel. Meine Schwiegermutter begann sofort mit den Bauarbeiten, und als wir im August auswanderten, stand bereits ein neues, doppelstöckiges Gebäude mit acht zusätzlichen Klassenzimmern. Bald wurden sie genutzt.
Vor Ort passten wir unsere Entwicklungspläne dem tatsächlichen Bedarf an. Mit Restmitteln des Crowdfundings verlegten wir Plattenböden in den Kindergartenräumen und bauten ein Basketballfeld. Wir hatten robuste Basketballkörbe und Bälle aus der Schweiz mitgebracht und statteten die Kindergartenräume mit gespendetem Mobiliar und Lernmaterialien aus. Zudem eröffneten wir einen Kiosk, schreinerten Sitzgelegenheiten, gründeten eine Sicherheitsfirma, bildeten Sicherheitspersonal aus und digitalisierten die finanziellen Prozesse. Wir organisierten das Personal neu, boten Weiterbildungen an und gewannen lokale Basketballtrainer für den Sportunterricht an unserer Schule.
Welche Herausforderungen gab es und wie sind Sie mit ihnen umgegangen?
Leider haben in der DR Kongo auch heute noch die wenigsten Menschen Zugang zu Bildung und Arbeit. Viele Menschen sind Selbstversorger und kreative Unternehmer, die sich häufig mit mehreren Berufen finanziell über Wasser halten. Praktische Berufe werden «on the job» erlernt, eine vergleichbare Ausbildung wie unsere berufliche Bildung existiert nicht. Ein weiteres Problem ist der Abfall, insbesondere der Plastikmüll. Eine staatlich organisierte Abfallentsorgung existiert nicht. Viele Menschen verbrennen ihre Abfälle am Strassenrand oder entsorgen diesen im öffentlichen Raum.
Diese Erfahrung und die zufällig bei einer Internetrecherche entdeckte nachhaltige Bauweise von Gebäuden aus Plastikflaschen, führte zu einem neuen Projekt für unsere NGO Ekimeli. In Zusammenarbeit mit der NGO Congo Innovation Academy (CINA) starteten wir ein Bildungsprogramm zum Thema Umweltschutz und nachhaltiges Bauen für Schülerinnen und Schüler der Schule Ekimeli. Zudem bilden wir lokale Fachpersonen aus und versuchen gleichzeitig die Bevölkerung in Kasangulu für die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Kern des Projekts ist der Bau einer öffentlich zugänglichen Bibliothek im Hof der Schule Ekimeli, die komplett aus Plastikflaschen gefertigt wird. Für dieses Projekt konnten wir die Schweizer Botschaft in Kinshasa gewinnen, die uns finanziell unterstützt. Soeben bin ich von einer Reise in die DR Kongo zurückgekehrt, bei der ich mit unserem Partnern von CINA die Planung der nächsten Etappen diskutiert habe. Das Projekt soll Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Nach acht Monaten haben Sie und Ihre Familie den Entscheid gefällt, wieder in die Schweiz zurückzukehren. Warum?
Die Sehnsucht nach Familie und Freunden war gross. Der Hauptgrund für unsere Rückkehr waren jedoch unsere drei Kinder. Ich hatte gehofft, dass sie zeitweise die Schule Ekimeli besuchen würden und ich ihnen im Homeschooling den Berner Lehrplan vermitteln könnte. Leider klappte die Integration in die Schule nicht wie gewünscht, für unsere Kinder war es schwierig, Freundschaften zu schliessen. Zudem war das Homeschooling sehr zeitaufwendig und schwer mit unserem Engagement für die Schule vereinbar.
Wir stellten uns vor die Wahl, entweder unsere Projekte zurückzustellen und in der Hauptstadt Kinshasa eine Anstellung und die Einschulung der Kinder anzustreben oder in die Schweiz zurückzukehren. Da wir uns ein Leben in der Grossstadt Kinshasa nicht vorstellen konnten, beschlossen wir, im Mai dieses Jahres in die Schweiz zurückzukehren. Bereits vor unserer Rückreise hatte ich ein erstes Vorstellungsgespräch für eine neue Arbeitsstelle in der Schweiz per Whatsapp-Videocall aus Kasangulu, am 1. Juli trat ich die neue Stelle an. Meine Kinder konnten wieder in ihre alte Schule gehen. Mit dem Bezug unserer neuen Wohnung jüngst haben wir unser Auswander-Abenteuer endgültig abgeschlossen und sind wieder in unserem alten Leben angekommen.
Würden Sie rückblickend etwas anders machen?
Nein. Es war ein grosses Abenteuer, es gibt unzählige gemeinsame Erinnerungen, prägende Erlebnisse. Wir haben mit und für die Schule Ekimeli mehr erreicht, als wir uns vorgenommen hatten, haben neue Projekte entworfen und arbeiten weiterhin an deren Umsetzung. Wir haben in den Monaten vor Ort viel dazugelernt, was es braucht, um Entwicklungsprojekte in einem Land wie der DR Kongo umzusetzen und welche Strategien anzuwenden sind. Mein Mann und ich hoffen, wieder mehr Zeit in der DR Kongo verbringen zu können, sobald unsere Kinder selbstständiger sind.
Welchen Ratschlag haben Sie für jene, die das Auswandern noch vor sich haben?
Einen generellen Ratschlag zu geben ist schwierig, weil jeder Auswanderungswunsch individuell ist und auf persönlichen Gründen, Zielen und Vorstellungen beruht. Wichtig scheint mir, dass man sich vor dem Entscheid auszuwandern und mit allen darauffolgenden Entscheiden lange und intensiv auseinandersetzt. Warum will ich wohin auswandern? Wie will ich das umsetzen, und wie gehe ich damit um, wenn es anders kommt als erwartet? Für uns war von Anfang an klar, dass wir nicht auswandern wollten, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Somit schuldeten wir niemandem Rechenschaft und hatten niemandem etwas zu beweisen, nicht einmal uns selbst. Eine Rückreise in die Schweiz aus egal welchen Gründen war für uns bewusst immer eine von mehreren Optionen. Und als wir uns schliesslich dafür entschieden hatten, fühlte es sich nicht wie ein Aufgeben oder ein Versagen an, sondern lediglich als das, was es war: eine Rückreise am Ende eines Abenteuers.