Zilla und die Seelenruhe
Im achten Teil dieser Kunstserie zu den Neuankäufen stellt Wolfgang Götschmann, Leiter Spezialfinanzierungen bei der Zürcher Kantonalbank, sein besonderes Werk vor.
Text: Markus Wanderl
Ist die Pandemie vorüber, wenn sich Zilla Leutenegger dereinst schon länger keine Neue Zürcher Zeitung mehr gegriffen und diese oder jene (Doppel-)Seite nicht mehr mit jener ausdrucksvollen Figur, die Zilla selbst sein mag, bedruckt hat?
Vielleicht.
Wer würde schon mit Bestimmtheit behaupten wollen, welchen Verlauf es nimmt und wie Zilla Leutenegger auf Dauer umzugehen beabsichtigt mit diesen besonderen Zeiten, die uns allen in einem fort variantenreich ein Schnippchen schlagen?
Doch bevor jetzt jemand diesen Text prompt wieder zu verlassen beabsichtigt, weil grad gefühlt so gut wie alle Texte dieser Welt diese vermaledeite Pandemie thematisieren und es einem zum Halse heraushängt, dem sei zugerufen: Das P-Wort wird nicht mehr vorkommen, versprochen.
Und das wiederum hat ganz besonders mit Wolfgang Götschmann, zu tun, damit, wie sich der Leiter Recovery der Bank im achten Teil dieser Kunstserie zu den Neuankäufen den drei seit 2020 in unserem Besitz befindlichen Bildern Zilla Leuteneggers annähert. Obwohl er sich als ein Fan der Künstlerin zu verstehen gibt, gelingt es ihm bei unserem morgendlichen Gespräch im Wiedikerhof spielend, ihr Werk mit poetischer Distanz zu betrachten – seit 2017 ist er Mitglied der Kunstkommission.
Bei sich bleiben
Denn jene Frau, die sich seit gut eineinhalb Jahren, seit dem berühmt-berüchtigten Frühjahr 2020, in unregelmässigen Abständen in sämtlichen Ressorts der NZZ Raum verschafft, sich auf unseren drei Bildern jedoch ausschliesslich im Wirtschaftsteil aufhält, ist nun einmal weit entfernt davon, «wie eine zu wirken, die sich Sorgen macht um Inflationstendenzen oder die Zinsentwicklung oder um ihre Aktien» – so bringt es Wolfgang Götschmann auf den Punkt.
Die Nachrichtenlage? Lässt sie unbeeindruckt. Die Schlagzeilen? So sind sie eben gerade. Mag sein, dass sie für den Titel «Das Debakel mit den Masken» den Kopf bewusst nach unten senkt. Ganz sicher aber schlägt sie infolge von «Europa schlittert in eine schwere Rezension» nicht die Hände vor den Kopf, sondern begibt sich einfach weiter ihres Weges. Und die Börsenkurse betrachtet sie mit in Höhe des Gesässes verschränkten Händen, als würde sie ein Gemälde betrachten. Oder schaut sie sogar wie durch ein Fenster hindurch?
«Als handelte es sich um einen Spaziergang oder um einen Schaufensterbummel, sie nimmt es zur Kenntnis, es ist aber kein tiefergehendes Interesse, es ist weder Irritation und schon gar nicht Abscheu zu erkennen – die Dame ist schlicht: entspannt.» Ähnlich wie das an die Wand projizierte schaukelnde Leuteneggersche Mädchen im Standort City, das Wolfgang Götschmann nicht müde wird zu betrachten – «Zilla Leuteneggers Figuren ruhen nun einmal in sich», sagt Wolfgang Götschmann. Einwände, dass er mit seiner Interpretation nicht wieder den Nagel auf den Kopf trifft? Dass Wolfgang Götschmann, der auch schon Schweizer Meister im Backgammon war, höchstselbst diese so angenehme Ruhe ausstrahlt, das muss hier unbedingt erwähnt sein.
Die NZZ gibt unterschiedlichsten Künstlerinnen und Künstlern schon lange regelmässig Raum, diesmal sollte Zilla Leutenegger die Gelegenheit erhalten, einmalig eine Doppelseite zu gestalten – und so kam es auch; die Anfrage liess die Künstlerin jedoch vor allem in eine ganz andere Richtung denken, nämlich die Zeitung nicht bloss als Präsentationsfläche für ihre Kunst zu nutzen, sondern eine Werkserie zu schaffen, die das Zeitungspapier an sich in ihre Arbeit integriert.
Mustergültig
Im Raum also: Wie passend, dass wiederum Zilla Leuteneggers Arbeit immer wieder darauf abzielt, Dreidimensionalität zu schaffen, Perspektive – sie tut dies in unseren dreien mit der Drucktechnik der Monotypie geschaffenen Werken «14. Mai 2020 (zweiter Börsengang)», «8. Juli 2020 (Schnäppchenjägerin)» und «8. August 2020 (auf Kurs)» mit jenen für sie typischen behutsamen Strichen und mit jenen Pastell-Farben, und sie nutzt die Struktur der Zeitung mit den Grafiken etwa dazu, den Rock zu bemustern. Alles dient ihr.
Raum zu schaffen ist das eine, Raum verschaffen das andere. Somit: Bühne frei für Wolfgang Götschmann, den leidenschaftlichen Sammler von alten Emaille-Werbeschildern, der schon vor dem Mauerfall regelmässiger Gast der Berliner Museen gewesen ist – und seit je liebend gern Rätsel aller Art löst.
«Ich bin dankbar für das Glück, seit gut vier Jahren mit grossem Interesse und Engagement in der Kunstkommission mitwirken zu dürfen. Es ist eine schöne Abwechslung und Ergänzung zu meiner Funktion als Stabschef respektive nun als Leiter Recovery der Bank. Auch hier im Wiedikerhof ist Kunst. Sind Kundinnen und Kunden zu Gast, beginnen die Gespräche oft mit Fragen zum Kunstwerk, es ebnet auf wunderbare Weise den Boden. Ich mag dieses Werk von Zilla Leutenegger sehr – es hätte jedoch auch ein anderes Kunstwerk von ihr treffen können. Zilla macht oft vieles anders als traditionelle Kunstschaffende, auch hier nimmt sie eben nicht einfach eine Leinwand, sondern eben jene Zeitungsseiten als Grundlage für ihr Schaffen. Ja, ihr Werk ist zugänglich, ich nehme nicht Anstoss. Doch ihr Werk hat mehr Tiefe, als es auf Anhieb scheinen mag. Als ich mir überlegt habe, was ich zu diesem Werk sagen kann, hatte ich gleich sehr viele Assoziationen: Im Kern: Eine Bank ist wie auch die NZZ sehr stark auf Fakten basierend, sehr kognitiv, sehr logisch aufgebaut, strukturiert; die Aufmachung ist so, dass klar unterschieden wird in Fakten und Kommentare wie bei der NZZ; alles ist sehr rational, spricht also die linke Gehirnhälfte an. Kunst dagegen spricht eher die rechte Gehirnhälfte an. Mr fallen diese Begriffe ein: synthetisch, zusammenfügend, kreativ – Farben, Symbole, Ideen werden neu vermittelt, indem alles neu zusammensetzt wird; das hat Zilla geschafft, indem sie jene Dame durch die Zeitung flanieren lässt. Die Figur kommt bei unseren drei Bildern immer von der rechten Seite vs. die Leserichtung von links nach rechts! Dann: das Schwarz-Weisse versus das Farbige. Die Zahl beziehungsweise die Fakten versus Emotion, das hat etwas Ergänzendes, Befruchtendes in sich: Inzwischen sind gewisse Bilder auf der NZZ-Frontseite farbig, aber insgesamt ist sie doch noch sehr schwarz-weiss; ich bin Fan der NZZ, bin auch eher neoliberal geprägt, zwinglianisch, diese Denkhaltung ist im NZZ-Journalismus sehr zu spüren. Seit einigen Jahren gehören leidenschaftlich und impulsgebend zu den Markenwerten der Zürcher Kantonalbank. Und genau in der Förderung und Stärkung dieser Markenwerte kann die Kunst eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. In diesem Sinne: Kunst bringt die Zürcher Kantonalbank voran und gehört zu ihr!»
Kreativwirtschaft im Kanton unterstützen
Die Zürcher Kantonalbank fördert im Sinne des Leistungsauftrages die Kreativwirtschaft im Kanton und sammelt seit bald zwanzig Jahren Zürcher Gegenwartskunst. Über 1'000 Werke, die diesem Konzept entsprechen, nennt unsere Bank ihr Eigen. Die Entscheidung, ob und welche neuen Werke angekauft werden, trifft die Fachstelle Kunst unter Einbeziehung der Kunstkommission nach sorgfältiger Abwägung.