«Wir setzen auf Evolution»

Nie zuvor wurde ein externer Kandidat zum CEO der Zürcher Kantonalbank ernannt – doch dann erschien Urs Baumann. In den ersten Monaten seines Tuns hat er in die Bank hineingehorcht und seine Ziele definiert. Im Interview spart er Sportliches nicht aus.

Interview: Markus Wanderl / Fotos: Christian Grund | aus dem Magazin «ZH» 3/2022

Urs Baumann, CEO Zürcher Kantonalbank
«Wir wollen schweizweit als die meistgeschätzte Bank wahrgenommen werden, sowohl in der physischen als auch in der digitalen Welt»: Urs Baumann, CEO der Zürcher Kantonalbank.

Seit 1. September sind Sie CEO der Zürcher Kantonalbank. Was ist immer noch neu für Sie?

Vorweg: Ich habe die Zürcher Kantonalbank in einem umfassenden, dreimonatigen Einführungsprogramm in all ihren Facetten kennenlernen und deshalb meine Arbeit als CEO sehr gut vorbereitet starten können. Aufs Neue bin ich immer wieder von der unbedingten Leidenschaft unserer Mitarbeitenden begeistert. Wie sie sich mit viel Herzblut für ihre Aufgaben und unsere Kundinnen und Kunden einsetzen! Das bekomme ich übrigens auch als Feedback von diesen gespiegelt. Ganz neu ist für mich meine Arbeit als Verwaltungsrat der Bankiervereinigung und als Verwaltungsrat des Verbands Schweizerischer Kantonalbanken.

Wie haben Sie seit Amtsantritt all das Neue zu steuern vermocht?

Als CEO ist die Arbeit im Team sehr wichtig. Ich habe das Glück, dass ich ein exzellentes Team übernehmen konnte. Insofern liess sich das, was neu war, wirklich gut kanalisieren. Gemeinsam haben wir in den letzten drei Monaten unsere Ambition und die strategischen Prio­ritäten für unsere Bank festgelegt. Wir sind fokussiert unterwegs.

Müssen Sie sich in Ihrer Neugierde manchmal bremsen?

Ich bin ein offener und kommunikativer Mensch, jemand, der Ideen diskutieren will und zu einem offenen Dialog einlädt. Bremsen muss ich mich bei alledem nicht. Würde auch gar nicht funktionieren (lacht).

Was nehmen Sie in der Bank besonders positiv wahr?

Zuerst die starke Willkommenskultur. Ich bin überall offen und vor allem auch herzlich empfangen worden. Unsere Kultur ist eine absolute Stärke – auch das spürt unsere Kundschaft. Sicher ist die hohe Kompetenz in allen verschiedenen Bereichen und Fachgebieten der Bank selbstverständlich; aber sie dann konkret zu erleben, das ist schon noch einmal etwas Besonderes. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstehen ihr Handwerk.

Es ist nicht Ihr erster CEO-Posten, doch die Unternehmen vorher waren nicht so gross, wie es die Zürcher Kantonalbank ist. Für welche Erfahrungen an anderem Ort sind Sie besonders dankbar?

Grösse allein ist nicht das, was zählt. Viel wichtiger sind in der Tat die Erfahrungen, die ich sammeln durfte – etwa jene, immer wieder aufs Neue für komplexe, unstrukturierte Aufgabenstellungen Lösungen gefunden zu haben. Ich bin seit 30 Jahren in der Finanzindustrie tätig und arbeite seit rund 25 Jahren als CEO in nationalen und internationalen Finanzinstituten – all die während dieser Zeit gesammelten Erfahrungen kann ich nun bei der Zürcher Kantonalbank vereinen und so die Bank weiterent­wickeln.

Was hat die Zürcher Kantonalbank, was andere Banken nicht haben?

Sehr besonders sind eben unsere Kultur und der Spirit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei uns herrscht eine Kultur des Vertrauens, des Miteinanders, der gegensei­tigen Wertschätzung. Ich kann es nicht oft genug sagen: Auch das spüren unsere Kundinnen und Kunden. Und unser Engagement für den Kanton Zürich ist natürlich hervorzuheben. Wir sind die Bank der Zürcherinnen und Zürcher und haben einen klaren Leistungsauftrag oder neudeutsch «Purpose». Dieser ist einzigartig: Wirtschaftliches Handeln in Einklang mit Umwelt und Gesellschaft zu bringen, ist tief in unserer DNA als Bank verankert.

Warum ist Ihnen Kontinuität so wichtig?

Die Zürcher Kantonalbank ist hervor­ragend positioniert. Wir sind die sicherste Universalbank auf der Welt. Die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit zeigt Höchstwerte. Unser finanzieller Erfolg erlaubt es uns, jährlich einen substanziellen Betrag an den Kanton und an die Gemeinden in Zürich auszuschütten. In einer solchen Ausgangslage ist Konti­nuität wichtig: für unsere Kundinnen und Kunden, unsere Mitarbeitenden, unseren Eigentümer, unsere Geschäftspartner wie auch für die vielen Organisationen, die wir im Rahmen unseres Leistungsauftrags im Kanton Zürich unterstützen. Kontinuität heisst aber nicht Stillstand. Wir müssen und wollen uns auf der Basis unserer Stärken weiterentwickeln, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein.

Inwiefern ist der Finanzplatz mehr als die Summe der Banken in der Schweiz?

Die Schweizer Finanzinstitute verwalten derzeit rund 25 Prozent der grenzüberschreitenden Kundenvermögen. Der Finanzplatz Schweiz hat deshalb eine grosse Verantwortung, diese Vermögen möglichst nachhaltig und in Übereinstimmung mit dem Pariser Abkommen und dem Netto-null-Ziel anzulegen. Wir können stolz darauf sein, dass in der Schweiz viele Pio­niere des nachhaltigen Finanzwesens zu Hause sind, sei es in den Bereichen Private Equity, Asset Management oder Private Banking.

Urs Baumann, CEO Zürcher Kantonalbank

Kontinuität bedeutet nicht Stillstand.

Urs Baumann, CEO Zürcher Kantonalbank

Warum ist Nachhaltigkeit für das Tun der Bank entscheidend?

Bis 2030 müssen wir gemäss dem Pariser Abkommen auf dem Weg zu Netto-Null die globalen Emissionen halbieren und die 17 Sustainable Development Goals der Uno erreichen. Das ist nicht so viel Zeit. Dafür bedarf es grösster Anstrengungen der Regierungen, der Realwirtschaft, der Gesellschaft – und der Finanzindustrie. Als viertgrösste Bank und als drittgrösste Fondsmanagerin in der Schweiz haben wir eine grosse gesellschaftliche Verantwortung, aber auch eine grosse Chance, neue innovative Lösungen zu entwickeln.

Was tun gegen Greenwashing?

Es ist evident, dass die Integrität von Finanzprodukten und die Glaubwürdigkeit einer Bank von zentraler Bedeutung sind. Als Zürcher Kantonalbank setzen wir uns aktiv für schweizweit verbindliche Standards zur Sicherstellung von Transparenz und Qualität ein. Wir investieren in Know-how und den Aufbau notwendiger Ressourcen in der Bank und auch in unser Asset Management. Es braucht aber noch mehr. Zum Beispiel: vergleichbare, einheitliche ESG-Daten oder auch anerkannte Methoden für die Messung der – nennen wir es – Umweltrendite. Aber vor allem müssen wir unsere Kundinnen und Kunden unterstützen, Wissen über nachhaltige Finanzprodukte aufzubauen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie unsere Produkte verstehen. Die grösste Falle des Greenwashings ist das Miss­verständnis, die Fehlkommunikation.

Warum ist Diversifikation auch für eine Kantonalbank die richtige Strategie?

Diversifikation macht die Bank noch sicherer. Die Zürcher Kantonalbank war während ihrer Historie lange stark vom Hypothekarmarkt und dem Zinsgeschäft abhängig. In den letzten 20 Jahren konnten wir den Anteil des Kommissions-, Dienstleistungs- und Handelsgeschäfts von 24 Prozent auf 50 Prozent steigern und die Abhängigkeit vom Zinsgeschäft entsprechend von 76 Prozent auf 50 Prozent reduzieren. Wir wollen unsere erfolgreiche Diversifikationsstrategie gezielt weiterentwickeln.

Digitalisierung – welcher nächsten Schritte bedarf es?

Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Durch Digitalisierung wollen wir Kundennutzen und Kunden­nähe weiter steigern und unseren Kundinnen und Kunden qualitativ hochwertige und innovative Produkte zu fairen Preisen anbieten. Wir wollen unsere Bankdienstleistungen – wo sinnvoll – digital verfügbar machen und unsere «digital-only»-Produkte wie zum Beispiel frankly weiterentwickeln.

Was steht über dem Wachstum?

Nachhaltigkeit, Profitabilität und gesellschaftlicher Nutzen.

Welche Frage wird Ihnen seit Ihrer Wahl im Freundeskreis eigentlich am häufigsten gestellt?

Ich war erfolgreich unterwegs und ein Jobwechsel stand bei mir nicht auf der Agenda, bis ich von einem Headhunter angesprochen wurde. Als ich mich dann für den Wechsel entschieden hatte, war die häufigste Frage aus dem Freundeskreis: «Warum?»

Und was antworteten Sie darauf?

Es ist eine grosse Ehre und zugleich eine Chance für mich, für die Zürcher Kantonalbank arbeiten zu dürfen. Sie bietet eine höchst spannende unternehmerische Aufgabe, wobei der ausschlaggebende Punkt für mich der umfassende Leistungsauftrag der Bank ist. Der Anspruch der Bank, wirtschaftliches Handeln in Einklang mit Umwelt und Gesellschaft zu setzen, entspricht voll und ganz meinen persönlichen Werten.

Und in der Bank, was ist dort die meistge­stellte Frage?

«Was ist deine Vision für die Zürcher Kantonalbank?» Oder anders formuliert: «Wohin soll die Reise gehen?»

Ihre Antwort?

Unsere Ambition ist klar: Wir wollen schweizweit als die meistgeschätzte Bank wahrgenommen werden, sowohl in der physischen als auch in der digitalen Welt. Das erreichen wir, indem wir Kontinuität gewährleisten, auf den bestehenden Stärken aufbauen und gleichzeitig durch nachhaltiges Wachstum unsere Erträge auch weiter diversifizieren. Wir setzen auf Evolution.

Nachhaltigkeit, Profitabilität und gesellschaftlicher Nutzen stehen über blankem Wachstum.

Urs Baumann

Wofür bleibt Ihnen Zeit?

Ich nehme mir Zeit für meine Familie, Freunde und für Sport. Das gibt mir den notwendigen Ausgleich zu meinem Job.

Sie haben vor Kurzem Ihre sportlichen Aktivitäten um Stand-up-Paddling ergänzt. Viel Spass oder Reinfall?

Was gibt es Schöneres, als an einem herrlichen Sommertag mit dem SUP auf dem Wasser des Zürichsees hinzugleiten? Da macht auch das Reinfallen Spass.

Standfestigkeit – ist sie für einen CEO das A und O?

Ja. Als CEO muss ich auch einen Sturm aushalten können. Zum Glück aber nicht auf dem SUP (lacht).

Dass Dinge auf der Kippe stehen, ist ein Gefühl, das sich gesellschaftlich in letzter Zeit mehr ausgebreitet hat als auch schon. Wie behalten wir die Ruhe?

Ein Allheilmittel gegen die Sorgen rund um tiefgreifende Veränderungen gibt es nicht. Sich jedoch mit möglichen Szenarien frühzeitig auseinanderzusetzen und Lösungsansätze zu suchen, kann Klarheit schaffen und Orientierung geben. Und sich auf die eigenen Stärken zu besinnen. Als Beispiel unsere Bank: Aus unserer über 150-jährigen erfolgreichen Geschichte ist abzulesen, dass wir uns immer auf unsere Stärken verlassen konnten und so auch turbulente Zeiten gut durchgestanden haben.

Einander Vertrauen schenken – das rufen Sie in die Bank hinein und sammeln so viele Sympathien. Wie bildet sich Vertrauen heraus?

Vertrauen ist für mich die Grundlage jeder Zusammenarbeit. Vertrauen ist eine Form von Wertschätzung, ein Geschenk, das wir uns gegenseitig machen können. Vertrauen hat aber nichts zu tun mit naiver Glaubensseligkeit. Vertrauen wächst und verfestigt sich durch konsistente Erfahrungen mit dem Gegenüber.

Nicht mit jeder Entscheidung kann man es allen recht machen. Wann bedarf es der Härte?

Jede Führungskraft muss lernen, damit umzugehen, es nie allen recht machen zu können. Mir hilft es zu wissen, dass ich im besten Interesse der Unternehmen entschieden habe.

Definieren Sie bitte Mut – und wann macht er in der Bank besonders Sinn?

Mut ist die Beherztheit, etwas zu wagen; Mut bringt unsere Bank überhaupt voran: der Mut, Sachen zu hinterfragen. Der Mut, eine andere Meinung zu äussern. Der Mut, einander offenes und ehrliches Feedback zu geben. Der Mut, etwas zu ändern. Ganz wichtig auch: der Mut, neue Impulse zu setzen.

Worüber können Sie lachen?

Über einen guten Witz. Über die Komik einer Situation. Über mich selbst auch.

Sie fahren E-Bike: Am Berg schon mal von einem Bio-Biker ausgelacht worden?

Viele sind ja in der Zwischenzeit auch schon umgestiegen und haben die vielen Vorteile eines E-Bikes in den Bergen schätzen gelernt. Doch vor jenen, die die Steigungen ohne Motor hochfahren, habe ich unbedingt Respekt.

Was wünschen Sie sich für 2023?

Dass der Ukrainekrieg endet. Dass die geopolitischen Spannungen in anderen Teilen der Welt nicht eskalieren. Dass wir die Inflation in den Griff bekommen und eine drohende Rezes­sion abwenden können. Dass sich unsere Unternehmen mit ihrer Innovationskraft in diesem schwierigen Umfeld erfolgreich behaupten können. Dass wir für unsere Kundinnen und Kunden weiterhin die verlässliche und geschätzte Finanzpartnerin sind.

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