Kurs Innovation: Die Vegi-Trendsetter
Seit 1898 setzen die Hiltls auf vegetarische und pflanzliche Küche. Die Innovationskraft hat dabei in den letzten 125 Jahren nicht nachgelassen.
Text: Othmar Köchle / Illustration: Sarah Mazzetti | aus dem Magazin «ZH» 3/2023
Vegetarier sein gehört heute für einen wachsenden Anteil der jüngeren Generation, aber auch für ältere Semester – aus welcher Motivation auch immer – zum guten Stil. Raffinierte fleischlose Gerichte, die über einen Gemüseteller und ein müdes Pastagericht hinausgehen, gehören in jedem Restaurant, das sich an ein urbanes und aufgeschlossenes Publikum richtet, heute zwingend auf die Karte.
Früher war das anders. In den 1970er-Jahren wurde Rolf Hiltl von seinen Klassenkameraden noch regelmässig gehänselt, weil sein Vater ein vegetarisches Restaurant betrieb. Nicht, dass ihn das eingeschüchtert hätte, im Gegenteil: «Als Kind, das in einer Familie gross wurde, die sich bereits seit Generationen ganz selbstverständlich auch vegetarisch ernährt, trieb mich das an, allen zu zeigen, dass diese Gastronomie gesund, vernünftig und zukunftsweisend ist», blickt der Restaurateur auf seine Schulzeit zurück.
Pioniere der vegetarischen Küche
Diese Haltung muss den Hiltls im Blut liegen. Vor 125 Jahren eröffnete das sogenannte Vegetarierheim & Abstinenzcafé, und damit das erste vegetarische Restaurant Europas, in Zürich. Ambrosius Hiltl, der aufgrund eines Gichtleidens auf vegetarische Ernährung umgestellt hatte und deshalb regelmässiger Gast des Lokals war, übernahm die Geschäftsführung kurz nach der Jahrhundertwende und kaufte den Betrieb 1904. Auch die Liebe mag eine Rolle gespielt haben, heiratete Ambrosius doch schon bald die Küchenchefin Martha Gneupel. Heute gehört es mit der Kronenhalle und dem Zeughauskeller zu Zürichs kulinarischen Wahrzeichen.
Sich neu erfinden
Um 125 Jahre erfolgreich zu sein, braucht es unternehmerischen Geist, Neugier und die Kraft, sich immer wieder neu zu erfinden, ohne die Identität zu verlieren. Das hat die vier Generationen der Hiltls immer ausgezeichnet. 1931 zum Beispiel wurde das Haus an der Sihlstrasse 28 umgebaut und erhielt im Zuge der Renovation die erste vollelektrische Küche in Zürich. Eindrücklich auch die Entdeckungsfreude von Margrith Hiltl, Teil der zweiten Generation, die bereits 1951 zum Welt-Vegetarierkongress nach Delhi reiste, dort die indische Küche entdeckte und diese mit Begeisterung in die Hiltl-Karte integrierte. Oder Heinz Hiltl, der das Hiltl-Konzept während der 1970er-Jahre vom sehr traditionellen Auftritt in die Neuzeit führte, bis hin zu Rolf Hiltl, der mit ganz neuen Ideen (Kochbüchern, Catering, Kochatelier, Vegi-Metzg, Hiltl Club und vielem mehr) den Namen Hiltl zu einem vielfältigen und bekannten Brand machte.
Es braucht Widersprüche, um lebendig zu bleiben
Interessant ist Rolf Hiltls Umgang mit den Klischees der Schweizer Fleischküche. Er spielt bewusst mit den Widersprüchen von Tradition und Innovation, Vegetarismus und lieb gewonnenen Fleischklassikern und löst dadurch auch mal Kontroversen aus. Zum Beispiel als er 2013 die Hiltl Vegi-Metzg eröffnete. Die Idee dazu kam ihm in Schanghai, wo die Menschen auf dem Markt – wie in einer Metzgerei – an einer Theke anstehen, um aus einem reichen Angebot von Seitan, Tofu oder Tempeh zu wählen. Die Reaktionen des Zürcher Publikums waren teilweise emotional und in den sozialen Medien gingen die Wellen hoch. Diese Reibung zwischen den Erwartungen an ein vegetarisches Lokal und den «eingefleischten» Traditionen reizt den 58-jährigen Unternehmer: «Das hält mich neugierig und wach und den Namen Hiltl im Gespräch. Gerichte wie Züri‑Gschnätzlets, Ghackets mit Hörnli oder Cordon bleu gehören zum kulinarischen Erbe der Schweiz.» Diese Gerichte will Hiltl auf der Karte haben, wenn auch in einer fleischlosen Variante. Mit den Klassikern spreche er eine andere, neue Kundschaft an. «Bei aller Innovation ist es mir sehr wichtig, kulinarische Traditionen ernst zu nehmen und weiter zu pflegen. Gerade beim Essen sind wir Männer oft konservativ.» Sein Ziel sei es, auch die Männer zu begeistern, die Frauen mögen unsere Art von Gastronomie seit Jahrzehnten, meint Rolf Hiltl. «Mit einer Quinoa-Bowl wird der Mann nicht satt. Bei uns kriegt er darum ein Cordon bleu mit einer Stange Bier.»
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