Winterthur liegt am Meer

Mit minimalem Wasserverbrauch und ohne Antibiotika vor Ort gezüchtet: Lucky Shrimp will den Garnelenmarkt revolutionieren.

Text: Othmar Köchle / Illustration: Sarah Mazzetti | aus dem Magazin «ZH» 3/2024

Illustration Lucky Shrimp

Hektik an der Hegmattenstrasse 24 in Oberwinterthur. Eben ist die Salzlieferung eingetroffen. Alex Dubsky braucht dringend Hilfe bei der Entladung des Camions. Andreas Zaugg beordert einen Mitarbeiter zum Camion. «Linda ist mit den Larven schon an der Schweizer Grenze und wird in 30 Minuten hier sein», ruft es aus einem Büro herüber. «Das Futter soll doch auch noch in Kürze kommen – wieder mal alles gleichzeitig», sagt ­Andreas Zaugg, der uns empfangen hat, lachend und entschuldigt sich für die Hektik.

Klar wird: Der Zeitplan ist eng gesteckt. Seit Oktober ist Lucky Shrimp, ein Start-up von drei ZHAW-Umweltingenieuren offiziell auf dem Markt. Bis Ende Jahr soll die Zucht hochgefahren werden, mit einer Jahresproduktion von 20 Tonnen des Pacific Whiteleg Shrimp. Aus sieben Zuchtbecken sollen Teile von Gastronomie und Handel in der Region mit einem Topprodukt beliefert werden können.

Nachhaltige Proteine

Angefangen hat alles 2018: An der Geburtstagsparty von Linda Denzler, die heute als Teilhaberin mit den Gründern Andreas Zaugg und Alex Dubsky das Start-up zum Erfolg führen will. Alex Dubsky erzählte damals von seiner Vision: die Erschliessung einer gesunden, nachhaltigen und lokal kultivierbaren tierischen Proteinquelle. Insekten? Oder pflanzliche Fleischersatzprodukte? Beides hatte ihn nicht überzeugt. In Kentucky werde aber seit Jahren ein Verfahren erforscht, um nachhaltig Shrimps zu züchten. Allein in der Schweiz werden jährlich über 8’000 Tonnen Garnelen importiert, die oft unter sehr fragwürdigen Bedingungen und Einsatz von Antibiotika gezüchtet werden und dabei ganze Uferregionen verseucht zurücklassen. Wenn es gelänge, mithilfe des Verfahrens im grossen Stil vor Ort Shrimps zu züchten, könnte das ein Gamechanger sein. Ein paar Monate später war aus Alex Dubskys Idee ein Start-up geworden. Das war 2019. Es folgte die entbehrungsreiche Zeit, die viele Start-ups kennen: Prototyp, Überzeugungsarbeit, Euphorie, Scheitern, Weitermachen, Kapitalsuche, Locationsuche. Mittlerweile ist es um unschätzbare Erfahrungen reicher – und ein Team von neun Mitarbeitenden.

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Alex Dubsky und Andreas Zaugg berichten im Video von der Umsetzung ihrer Geschäftsidee. (Video: Mirjam Ramseier und Flavio Pinton)

Biotechnik macht’s möglich

Hinter Lucky Shrimp steht die Biofloc-Technologie. Dank ihr verwandeln sich die Tanks in fein getunte Biotope. Ein Aquakultursystem, worin eine Vielzahl von Mikroorganismen organische Abfälle und überschüssige Futterreste in Biomasse umwandeln. Diese dient wiederum als Futter für die Garnelen. Zwei grosse Vorteile des Verfahrens sind sofort evident: Der Wasserverbrauch kann im Vergleich zu konventionellen Zuchtanlagen um zirka 90 Prozent reduziert werden, der Einsatz von Chemie entfällt. Die Folge: gesunde Shrimps, die bezüglich des Geschmacks und der Konsistenz Topgastronomen wie Heiko Nieder zu überzeugen wissen.
«Eine Biotechnik wirklich zu beherrschen, ist eine Kunst. In einem jahrelangen Trial-and-­Error-Verfahren haben wir uns dieses Know-how erworben», verrät Andreas Zaugg, «denn ein biologisches System läuft schon bei kleinen Unstimmigkeiten aus dem Ruder.» Und genau darin liegt das Kapital von Lucky Shrimp.

Die Vision

Am Anfang stand die Idee, eine Shrimpfarm zu betreiben. Mit der Entwicklung wuchs aber die Überzeugung, dass am Ende der Verkauf von Aquakulturen mit dem Label «Lucky Shrimp» steht. «2025 müssen wir beweisen, dass unsere Anlage zuverlässig hochwertige Garnelen liefert. Danach wird der Bau einer zweiten, optimierten Anlage kommen», schaut Andreas Zaugg voraus. Das Potenzial für Shrimpkulturen ist nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa gigantisch. Zaugg denkt an Bauern, die heute noch Schweinezuchten betreiben. «In Zukunft könnten wir mit verhältnismässig bescheidenem Kapitaleinsatz in einem Schweinestall eine Lucky-Shrimp-Aquakultur einrichten und damit im grösseren Stil ­unserem Ziel näherkommen: nämlich eine nachhaltigere Proteinquelle zu erschliessen.»

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