Freude am Fahren auf Chinesisch
Der Anteil an verkauften Elektroautos am gesamten Fahrzeugabsatz ist in China schon jetzt höher als in Europa. Lesen Sie im Beitrag von Nachhaltigkeitsökonomin Silke Humbert, was das für die deutsche Autoindustrie sowie die grüne Transition in Europa bedeutet.
Text: Silke Humbert
Das neue Jahr hat bereits begonnen. Was wird sich ändern und von welchen bisherigen Selbstverständlichkeiten müssen wir uns verabschieden? In den Industrieländern steht speziell die Industrie vor grossen Herausforderungen. In der Geopolitik wird viel über die sich verschiebenden Machtverhältnisse gesprochen. Klar ist auch, dass über allem die Transition hin zu Netto-Null thront.
Ein Kristallisationspunkt dieser Veränderungen zeigt sich in der Zunahme der Verkaufszahlen chinesischer Fahrzeuge. Noch vor vier Jahren exportierte Deutschland zehnmal mehr Autos als China. Doch schon 2024 wird das Reich der Mitte Deutschland bei den Autoausfuhren überholen. Eine rasante Entwicklung!
Die Volksrepublik wird mit ihren Exportzahlen auch an Japan vorbeiziehen und bald weltgrösste Autoexporteurin. Die oft zitierte Freude am Fahren dürfte in Deutschland damit einen bitteren Beigeschmack bekommen.
2024 wird China mehr Autos exportieren als Deutschland
Silke Humbert, Nachhaltigkeitsökonomin
Veraltete Gewissheiten globaler Rollenteilung
2022 verkauften die deutschen Automobilhersteller Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW mehr als ein Drittel ihrer Fahrzeuge nach China. Die deutschen Fahrzeughersteller leiden nun doppelt: Erstens bricht ein grosser Absatzmarkt weg und zweitens wird dieser ehemalige Absatzmarkt plötzlich zum harten Konkurrenten.
2023 kamen erstmals Elektroautos des chinesischen Herstellers BYD auf den europäischen Markt. BYD hat in China den grössten Marktanteil bei Elektroautos und ist international betrachtet auch Tesla auf den Fersen. Die alte Rollenverteilung, nach der China billige Massenware in die Industrieländer exportiert und hochwertige Qualitätsartikel aus den Industrieländern importiert, scheint zumindest in der Automobilindustrie zu wanken. Wie konnte es so weit kommen?
Überholtes Selbstverständnis der deutschen Industrie
Elektroautos sehen äusserlich zwar so aus wie alle Autos, innen gleichen sie jedoch mehr einem Smartphone. Die über Jahrzehnte vorherrschende deutsche Ingenieurskunst bei der Perfektionierung des Verbrennermotors wird mit dem Elektroauto schlagartig überflüssig. Gefragt ist hingegen die kostengünstige Herstellung von Batterien. Mit CATL und BYD gibt es zwei chinesische Unternehmen, die zusammen 50 Prozent des Batteriemarktes beherrschen.
BYD hat zudem den Vorteil der vertikalen Integration: Das Unternehmen stellt sowohl die Batterien als auch die Autos her und ist nicht auf den Einkauf von Kompetenz oder Bauteilen angewiesen. Seit 2017 nimmt der Absatz von Verbrennerautos global ab. Das spüren auch die deutschen Autobauer: Von 2019 bis 2021 hat sich der Export deutscher Verbrennerautos halbiert. Die Nachfrage nach deutschen Elektroautos konnte diesen Rückgang nicht kompensieren. Es erstaunt daher nicht, dass die deutschen Autobauer sehr pessimistisch in die Zukunft schauen.
Veraltete Gewissheiten der grünen Transition
Für das Klima – beziehungsweise für die Menschheit, die dem Klima ausgesetzt ist – ist die Elektrifizierung des Verkehrs eine gute Sache. Durch den Einsatz von E-Autos werden schon heute täglich circa 1,5 Millionen Barrel Öl eingespart. Aktuell haben 14 Prozent aller global verkauften Fahrzeuge einen Elektromotor. 2030 werden es schon etwa 44 Prozent sein. Zur Erreichung des Netto-Null-Zieles bräuchte es allerdings eine stärkere Zunahme mit einem Anteil von 70 Prozent. Und auch wenn sich Europa als grossen Vorreiter punkto Klimaschutz sieht, geht der Hauptpreis beim elektrifizierten Verkehr an China. Dort ist der Anteil an verkauften Elektroautos am gesamten Fahrzeugabsatz schon jetzt höher als in Europa. Und das wird nach Prognosen auch in naher Zukunft so bleiben.