Kleine Alpenländer, grosse Exportnationen

Kaum zu glauben: Das kleine Alpenland Slowenien konnte in den letzten Jahren die höchsten Wachstumsraten bei den Warenimporten aus der Schweiz verzeichnen. Chefökonom Schweiz David Marmet klärt auf und gibt einen Überblick über die wichtigsten Zielländer der Schweizer Warenexporte.

Text: David Marmet

«Die Aussage, dass jeder zweite Franken im Ausland verdient werde, ist schlicht irreführend», erklärt David Marmet. (Bild: Getty Images)

Nein, nicht die aufstrebende Wirtschaftsmacht China oder die grösste Volkswirtschaft der Welt, die USA, erweisen sich für die Schweizer Warenexporte als die dynamischsten Länder. Es ist vielmehr das kleine Alpenland Slowenien, das in den letzten Jahren die mit Abstand höchsten Wachstumsraten beim Import von Waren aus der Schweiz vorweisen konnte.

Jahrelang stiegen Schweizer Warenausfuhren nach Slowenien beständig an, hielten sich wertmässig aber in engen Grenzen. So wurden in den späten 1990er-Jahren jährlich Güter im Wert von ca. CHF 200 Mio. nach Slowenien geliefert. 2005 überschritten sie die Marke von CHF 300 Mio., 2013 dann diejenige von CHF 400 Mio. Ab 2017 wuchsen die Exporte dann plötzlich exponentiell. 2023 führten Schweizer Unternehmen Güter im Wert von knapp CHF 16 Mrd. nach Slowenien aus.

Beim Blick auf die Rangliste der Zielländer von Schweizer Warenexporten reiben wir uns verwundert die Augen: Die USA liegen vor Deutschland und Italien an erster Stelle. Bereits auf Platz vier folgt Slowenien, noch vor dem Riesenreich China, unserem flächenmässig grössten Nachbarn Frankreich und Grossbritannien. Erstaunlich!

Wieso genau das kleine Alpenland Slowenien?

Die Antwort auf die Frage nach dem Grund für das exorbitante Exportwachstum ist – wie so oft in den letzten Jahren – bei der pharmazeutischen Industrie der Schweiz zu finden. Novartis hatte 2002 die slowenische Firma Lek übernommen und im Laufe der Jahre dort Milliarden investiert. Die Generika-Sparte Sandoz, mittlerweile als eigene Gesellschaft ausgegliedert, trug dazu bei, dass Slowenien zu einem Global Player in der Generikaproduktion wurde. In den letzten Jahren sind die Pharmakon¬zerne zudem dazu übergegangen, auch komplexere und teurere Medikamente in Slowenien herzustellen. Der rasante Anstieg des slowenischen Arzneimittelhandels ist im Weiteren auch auf die Eröffnung des Kühne+Nagel Pharma Fulfillment Centers im Jahr 2018 zurückzuführen. Mit einer Fläche von rund drei Fussballfeldern ist es das grösste Pharma-Logistikzentrum seiner Art in Europa.

Hohe Bedeutung der Pharmaindustrie

Die Bedeutung der Pharmaindustrie zeigt sich auch an den Exportanteilen. Das Schweizer Ausfuhrvolumen nach Slowenien belief sich 2023 auf CHF 16 Mrd., davon waren über 98 Prozent der Pharmabranche zuzuordnen. Die Maschinen- und Elektroindustrie kam nur auf einen Anteil von 0,5 Prozent, die Uhrenindustrie auf 0,3 Prozent. Ähnlich sieht es bei den seit 2017 sprunghaft gestiegenen Importen aus Slowenien aus: Pharmaprodukte dominieren die Statistik mit 96 Prozent.

Und die Moral der Erfolgsgeschichte?

Wiederholt wird von Medienvertretern und wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern kolportiert, jeder zweite Schweizer Franken werde im Ausland verdient. Wie das Beispiel Slowenien zeigt, ist diese Aussage schlicht irreführend. Viele Schweizer Pharmaexporte benötigen Zwischenprodukte, welche Konzerne zuerst aus dem Ausland importieren. Das heisst also, dass ein Teil des in Slowenien verdienten Frankens schon vor dem Export nach Slowenien für Importe ausgegeben wurde. Zudem ist diese merkantilistische Idee, dass Exporte etwas Gutes darstellen, weil damit Geld zu verdienen ist, während die Importe ausser Acht gelassen werden, aus der Zeit gefallen. Freuen wir uns also an der wohlstandsfördernden internationalen Verflechtung, auch wenn tatsächlich nicht jeder zweite Franken im Ausland verdient wird.

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