Hypothekarzinsen sind zu gut, um sie aufzugeben
Ende der 1990er Jahre zahlten die meisten US-Hausbesitzer noch Hypothekarzinsen zwischen 7 Prozent und 9 Prozent. Nach diversen Krisen sanken die Zinsen deutlich und viele konnten ihre Hypotheken günstiger refinanzieren. Zu Beginn der Pandemie erreichten die Zinsen historische Tiefststände, so dass viele Haushalte Hypotheken unter 3 Prozent aufnehmen konnten. In diesen Jahren wichen die gezahlten Hypothekarzinsen meist nur wenig von den jeweils aktuellen Marktzinsen ab. Solange die Haushalte einen Immobilienkredit mit einem höheren als dem marktüblichen Zinssatz hatten, war ein Umzug oder eine Refinanzierung relativ einfach.
Dies änderte sich jedoch in den letzten zwei Jahren, als die US-Notenbank resolut gegen die hohe Inflation vorging und die Zinsen für alle Arten von Krediten in die Höhe schnellten. Scheinbar über Nacht fanden sich die meisten amerikanischen Haushalte mit Hypotheken in einer Situation wieder, in der es sich finanziell nicht attraktiv anfühlte, das Eigenheim zu verkaufen. Ein durchschnittlicher Hypothekarnehmer würde bei einem Umzug auf rund USD 500 pro Monat oder insgesamt mehr als USD 60'000 an niedrigeren Hypothekenzahlungen verzichten. Viele könnten es sich schlichtweg nicht leisten, einen solchen Betrag bei einem Umzug zusätzlich auszugeben. Andere wiederum dürften die Ersparnisse für zusätzliche Konsumausgaben verwendet und so dazu beigetragen haben, dass die US-Konsumausgaben in den letzten zwei Jahren derart widerstandsfähig waren.
Auswirkungen auf den Häusermarkt
Da viele Haushalte nicht umziehen können oder wollen, schafft das aktuelle Umfeld aber neue Probleme. So ist die Zahl der auf dem Markt befindlichen Wohnungen in den letzten Jahren stark zurückgegangen und liegt im Vergleich zu 2019 um ein Drittel niedriger. Negativ wirkt sich dies auch auf die Anzahl der Hausverkäufe aus. Nach Berechnungen der Federal Housing Finance Agency (FHFA) sinkt die Verkaufswahrscheinlichkeit mit jedem Prozentpunkt, den die Marktzinsen über dem Zinssatz der bestehenden Hypothek liegen, um 18 Prozent. Demnach dürfte der «Lock-in-Effekt» zwischen dem Beginn der Zinserhöhungen durch die US-Notenbank im Frühjahr 2022 und Ende 2023 gut 1.3 Mio Hausverkäufe zu marktüblichen Konditionen verhindert haben. Das ist eine hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass in normalen Zeiten etwas mehr als fünf Millionen Häuser pro Jahr verkauft werden.
Darüber hinaus übt das knappe Angebot Druck auf die nationalen Hauspreise aus und schränkt die Zahl der Käufer ein, die sich eine Immobilie überhaupt leisten können. Der Medianwert eines bestehenden Einfamilienhauses stieg im Mai auf einen Rekordwert von USD 424'500 gegenüber knapp USD 270'000 vor der Pandemie. Eine weitere Folge der hohen Preise ist, dass neu gebaute Häuser immer kleiner werden. Bauunternehmen versuchen, neue Häuser für Erstkäufer so erschwinglich wie möglich zu halten, indem sie die Wohnfläche reduzieren. Der eingefrorene Häusermarkt hat auch direkte wirtschaftliche Folgen. So sind die Ausgaben im Zusammenhang mit Hausverkäufen zurückgegangen. Normalerweise geben die Hausbesitzer viel Geld aus, um ihre Häuser zu renovieren, bevor sie sie auf den Markt bringen. Auch die Arbeit von Fachleuten wie Anwältinnen und Immobilienmaklern, die an der Abwicklung von Transaktionen beteiligt sind, ist zurückgegangen. Zusammen mit dem Bau neuer Häuser machen diese Aktivitäten 3 bis 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukt der USA aus.
Mehr Ungleichheit und Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
Weiter hindert der «Lock-in-Effekt» die Haushalte daran, ihre Wohnungs- und Standortwahl zu optimieren. Konkret bedeutet dies, dass Menschen nicht in Häusern leben, die sie bevorzugen würden. Beispielsweise müssen wachsende Familien in Häusern bleiben, die zu klein werden, während Rentnerinnen und Rentner in Häusern leben, die eigentlich zu gross für sie sind. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum kann auch generell die Familienplanung erschweren. Darüber hinaus trifft die Verschlechterung der Erschwinglichkeit durch höhere Preise insbesondere Erstkäufer, Minderheiten oder Haushalte mit niedrigem Einkommen, wodurch sich die Ungleichheit im Land vergrössert.
Auch der Arbeitsmarkt kann negativ betroffen sein, wenn Arbeitnehmende zögern, ein Stellenangebot anzunehmen, weil sie dafür auf niedrige Wohnkosten verzichten müssten. So können Unternehmen nicht die richtigen Arbeitskräfte finden oder die Löhne steigen stärker, als es unter normalen Bedingungen der Fall wäre. Studien zeigen, dass die Mobilitätsraten von Hausbesitzern mit Hypotheken in den Jahren 2022 und 2023 zurückgingen, während bei Hausbesitzern ohne Hypotheken oder Mieterinnen kein vergleichbarer Rückgang der Mobilität zu verzeichnen war.