Treibhausgas-Emissionen: Kurs halten trotz fliessender Datenlage

Wer beim Investieren Treibhausgas-Emissionen berücksichtigt, benötigt eine solide Daten­grundlage. So genannte Scope-Kategorien dienen dabei als Ausgangs­punkt. Doch für Asset Manager stellen sich Heraus­forderungen.

Fabio Pellizzari

Die Treibhausgas-Bilanzierung kann auch vor- und nachgelagerte Tätigkeiten eines Unternehmens erfassen - so den Transport von Gütern (Quelle: iStock.com).

Die grosse Mehrheit der aktiv verwalteten Swisscanto-Fonds mit traditionellen Anlageklassen setzen auf eine kontinuierliche Reduktion der Intensität des Treibhausgas-Ausstosses (CO2e-Emissionen) von mindestens 4% pro Jahr, zuzüglich des Wirtschaftswachstums. Als Bemessungsgrundlage dient das GHG-Protokoll (Greenhouse Gas Protocol), das international als Standard zur Bilanzierung von Treibhausgasemissionen gilt.

Entscheidend für die Berücksichtigung von CO2e-Daten im Asset Management ist eine Datengrundlage, die sowohl klar quantifizierbar wie auch aussagekräftig ist. Es erweist sich allerdings noch als herausfordernd, neben Scope 1 und 2 auch Emissionen der Kategorien Scope 3 oder gar Scope 4 mit einzubeziehen. Bei unseren Swissscanto-Fonds mit Absenkpfad werden derzeit Daten der Kategorien Scope 1 und Scope 2 verwendet.

Die Scope-Kategorien setzen sich dabei wie folgt zusammen:

  • Scope 1: Direkte Emissionen aus Quellen, die im Besitz eines Unternehmens sind oder von diesem kontrolliert werden. Dazu zählen etwa Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe in unternehmenseigenen Anlagen, sowie Emissionen unternehmenseigener Fahrzeuge.
  • Scope 2: Indirekte Emissionen aus dem Verbrauch von eingekaufter Energie. Diese Emissionen entstehen zwar physisch bei den Energieversorgern, werden jedoch dem Unternehmen zugerechnet, das diese Energie nutzt.
  • Scope 3: Andere indirekte Emissionen, die entlang der Wertschöpfungskette eines Unternehmens entstehen. Zu denken ist etwa an die Beschaffung von Rohstoffen, die Nutzung und Entsorgung von Produkten, Geschäftsreisen und Pendlerverkehr der Mitarbeitenden sowie Transportdienstleistungen Dritter. Scope-3-Emissionen sind oft am umfangreichsten und komplexesten zu messen, da sie eine Vielzahl von Aktivitäten und Akteuren umfassen. Entsprechend oft müssen Annahmen getroffen werden.
  • Scope 4: Obwohl die Kategorie im GHG-Protokoll nicht offiziell definiert ist, wird dieser Begriff manchmal verwendet, um die Auswirkungen von emissionsmindernden Massnahmen durch die Nutzung von Produkten und Dienstleistungen zu beschreiben. Ein Beispiel dafür wäre die Einsparung von Emissionen dank des Einsatzes von Technologien, welche die Energieeffizienz steigern.
     

In einer idealen Welt würde diese Kategorisierung helfen, die Intensität der Treibhausgas-Emissionen von Unternehmen und in der Folge von Anlageportfolios umfassend zu ermitteln. In der Praxis erweist sich die Ermittlung dieses «Fussbadrucks» jedoch als Herausforderung. Denn die Kategorien Scope 1 und 2 sind gut etabliert – Scope 3 und 4 sind es weniger.

Scope 3 und 4 sind noch nicht ausgereift

In der Praxis zeigt sich, dass Scope-4-Daten nur in sehr begrenztem Umfang verfügbar sind, während sich die Qualität der Scope-3-Daten nur langsam verbessert. Ebenfalls sind hier auch regulatorische Vorgaben nur begrenzt vorhanden. Im Detail ergeben sich folgende Herausforderungen:
 

  • Das Proxyrisiko, das sich aus der Verwendung von geschätzten Daten ergibt, ist hoch.
  • Mehrfachzählungen innerhalb der Lieferkette bewirken einen realitätsfernen Emissions-Fussabdruck, und der Fokus verlagert sich von der Reduktion von Emissionen der Kategorien Scope 1 und 2 zu Scope 3. So verbucht beispielsweise ein Logistiker Emissionen aus dem Transport von Smartphones unter Scope 1 und 2. Der Smartphone-Hersteller wiederum meldet dieselbe Menge an Emissionen unter Scope 3. Aufgrund solcher Mehrfachzählungen sind die Scope-3-Werte plötzlich neunmal grösser als die Summe aller Scope-1- und Scope-2-Daten (gemessen an den Emissionsdaten von Institutional Shareholder Services ISS ESG für 2022).
  • Insbesondere für die Kategorie Scope 3 ist es schwierig, genaue und vollständige Daten zu erhalten, da viele Informationen von externen Lieferanten und Dienstleistern abhängen.
  • Problematisch bei Scope-3-Daten ist schliesslich, dass viele Unternehmen, die wichtige Technologien für die Energiewende anbieten, in der Scope-3-Betrachtung «bestraft» werden. Ein Beispiel: Die Scope-3-Emissionen von Signify, einem führenden Anbieter von LED-Beleuchtung, umfassen den gesamten Stromverbrauch während der Lebensdauer der Produkte. Dies führt dazu, dass die Scope-3-Intensität des Unternehmens mit 536 Tonnen Treibhausgas-Emissionen pro Million USD Umsatz im Vergleich zu anderen Sektoren sehr hoch ausfällt. Zum Vergleich: Der Öl- und Gasausrüster Halliburton weist eine Intensität von etwa 650 Tonnen Treibhausgas-Emissionen pro Million USD aus. Ohne Berücksichtigung der vermiedenen Emissionen unter Scope 4 könnte diese Diskrepanz Investoren also davon abhalten, in einen Vorreiter der Dekarbonisierung zu investieren.
     

Anpassungsfaktoren als Lösungsansatz

Um bei einer Mitberücksichtigung von Scope 3-Daten (nebst den Scope 1 und Scope 2-Daten) eine möglichst aussagekräftige Grundlage zu erhalten, haben wir «einflussbasierte Anpassungsfaktoren» entwickelt, welche die oben beschriebenen Problemstellungen adressieren. Unser Ziel ist es damit, die Kontrolle und Verantwortung widerzuspiegeln, die ein Unternehmen bei seinen Scope-3-Emissionen innehat. Die Anpassungsfaktoren sollen ausserdem die Risiken aufzeigen, welche die nötige Dekarbonisierung der Wirtschaft für das jeweilige Unternehmen birgt.

So kontrolliert beispielsweise ein Öl- und Gasproduzent seine Scope-3-Emissionen in einem hohen Masse, während dies etwa bei einem Reifenhersteller viel weniger der Fall ist. Wenn sich die Wirtschaft schneller als erwartet auf erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge verlagert, könnte sich das Wachstum des Öl- und Gasproduzenten allerdings verlangsamen. Die Anlagen des Ölkonzerns könnten an Wert verlieren oder als gestrandete Vermögenswerte enden.

Um den Aspekt der Kontrolle bei der Verwendung von Scope-3-Daten zu berücksichtigen, haben wir den Unternehmen jeweils Anpassungsfaktoren auf Basis ihrer Umsätze oder Branchenzugehörigkeit zugeteilt. Anschliessend addieren wir die angepassten (adj.) Scope-3-Emissionen zu jenen der Kategorien Scope 1 und 2. Das Ergebnis ist eine Gesamtintensität an Treibhausgas-Emissionen, die unserer Meinung nach die Klimarisiken und -chancen besser abbildet.

Das lässt sich beispielsweise an der erwähnten Wertschöpfungskette der Automobilindustrie illustrieren:

Sektor

Scope 1 & 2 Intensität

Unadj.
Scope 3 Intensität

Anpassung Faktor

Adj.
Scope 3 Intensiät

Unadj.
gesamte Intensität (1-3)

Adj.
Intensität (1-3)

Öl & Gas

300

500

0.40x

200

800

500

Fahrzeug­hersteller

50

1'500

0.33x

500

1'550

550

Reifen

200

10'000

0.01x

100

10'200

300

Netzwerke & andere (Klima-)  Lösungen

100

2'000

0.05x

100

2'100

200

Quelle: Swisscanto, Anschauungsbeispiel

Wird der Ansatz auf unser Aktienuniversum angewendet, zeigt sich, dass die durchschnittliche Treibhausgas-Intensität der Sektoren besser mit unserer Basiseinschätzung ihres relativen Klimarisikos nach Scope 1 bis 3 übereinstimmt. Die Grafik (unten) zeigt den Beitrag jedes Sektors zu den Gesamtemissionen des Universums (einschliesslich der Kategorien 1, 2 und 3).

Durchschnittliche CO2e-Intensität (in Tonnen pro Mio USD Umsatz)

Quelle: Institutional Shareholder Services (ISS ESG), Emissionsdaten für das Finanzjahr 2022 im Swisscanto Aktien-Universum

Schwellenwerte entscheiden über Zutritt zu Universum

Die erste Generation unserer Daten zu den einflussbasierten Anpassungsfaktoren für Scope 3 werden wir als Teil der «Do No Significant Harm»-Prüfung nutzen. Dies, indem wir einen maximalen Schwellenwert für den gesamten Emissions-Fussabdruck festlegen. Unternehmen, welche diese Schwelle überschreiten, werden als Verursacher erheblicher Schäden betrachtet. Sie kommen für die Aufnahme in unser nachhaltiges Anlageuniversum bei den Sustainable Fonds nicht in Frage. Ferner wird bei unseren Responsible Fonds luxemburgischen Rechts der Umsatz der nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten von solchen Unternehmen nicht in den Anteil nachhaltiger Investitionen einbezogen.

Mit Blick auf die Zukunft hoffen wir, auch Scope-4-Daten berücksichtigen zu können. Damit würden Unternehmen, die aktiv Lösungen für die Dekarbonisierung anbieten, auch aus der Investmentperspektive belohnt.
 

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Nachhaltigkeit