Dekarbonisierung bis 2050 – Parforce­leistung nötig

Maximal 465 Gigatonnen Treibhaus­gase darf die Welt­wirtschaft bis 2050 emittieren. Prognosen zufolge hat das Klima dann eine 50-prozentige Chance, sich um «nur» 1,5 Grad zu erwärmen. Allerdings: Rund die Hälfte des Budgets ist bereits aufgebraucht.

Fabio Pellizzari

Fabio Pellizzari, Leiter ESG Strategie und Entwicklung im Asset Management Zürcher Kantonalbank

Mögliche Konsequenzen einer fort­schreitenden Klima­erwärmung lassen sich anhand des sogenannten Albedo-Effekts aufzeigen. Albedo ist ein Mass für das Reflexions­vermögen eines Körpers. Schnee und Eis haben ein hohes Reflexions­vermögen. Steigt nun die globale Temperatur, schmelzen Eis und Schnee. Es wir weniger Sonnenlicht reflektiert und stattdessen von der Erde absorbiert. Dies führt zu einer weiteren Er­wärmung und zu noch mehr Eis- und Schnee­schmelze – ein sich selbst ver­stärkender Zyklus. Solche Teufelskreise gilt es rechtzeitig zu durch­brechen. Misslingt dies und erreicht die Temperatur bestimmte Kipppunkte, droht beispielsweise der grön­ländische Eisschild irreversibel abzuschmelzen, was zu einem deutlich höheren globalen Meeres­spiegel führen würde.

Ein Präventions-Versuch ist das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015, dass eine Begrenzung des globalen Temperatur­anstiegs auf 1,5 Grad Celsius, auf jeden Fall aber deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter vorsieht. Die Einhaltung dieser Grenzen erhöht die Chancen, dass Kipp­punkte nicht erreicht werden.

Was ist CO2e?

CO2-Äquivalent (CO2e) ist eine Masseinheit zur Vereinheitlichung der Wirkungen diverser Gase auf den Treibhauseffekt und somit auf die Klima­erwärmung. Die bekanntesten Treibhausgase sind CO2, Methan und Lachgas. Die Treibhaus-Wirkung von Methan ist rund 25mal stärker als diejenige von CO2. Gleichzeitig ist die Menge an Methan in der Atmosphäre geringer.

Laut dem Weltklimarat der Vereinten Nationen werden die Temperaturen mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit maximal um 1,5 Grad Celsius steigen, sofern sich die Emissionen von Treibhausgasen ab dem Jahr 2019 insgesamt auf weniger als 465 Gigatonnen CO2e bis 2050 beschränken. Damit der Temperarturanstieg mit einer 66-prozentigen Wahrscheinlichkeit auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt werden kann, steht ein Treibhausgasbudget von maximal 1090 Gigatonnen zur Verfügung.

Quelle: Zürcher Kantonalbank

Mix aus Massnahmen

Dazu benötigt es ein Mix aus nachhaltigerem Konsum, Energie­einspar­massnahmen, sauberer Energie­produktion und dem Schutz sowie der Erhaltung natürlicher CO2e-Speicher. Dies kann durch die Implementierung von energieeffizienten Technologien in Industrie, Verkehr und Gebäuden erfolgen. Es braucht auch Förderungen für erneuer­bare Energien sowie den Schutz und die Wieder­herstellung von Öko­systemen wie Wälder und Ozeanen. Letztere sind natürliche Kohlenstoffsenker. Darüber hinaus spielt die Entwicklung und Implementierung von Techniken zur Dekarbonisierung, beispielsweise CO2e-Abscheidung und -speicherung (CCUS), eine Rolle beim Aufbau zusätzlicher CO2e-Speicher.

Billionenschwere Investitionen nötig

Der Umstieg auf saubere Energiequellen und emissionsarme Technologien erfordert enorme Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in die Infrastruktur. Die Internationale Energie­agentur (IEA) schätzt, dass zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels jährlich USD 4,5 Billionen in erneuerbare Energien investiert werden müssen. Das ist mehr als das Doppelte der rund USD 1,8 Billionen, die bis 2023 investiert werden. Demgegenüber stehen laut Internationalem Währungsfonds Subventionen in Höhe von USD 7 Billionen (7,1% des globalen BIP) für fossile Energien.

Kurzfristigen Investitionskosten steht ein langfristiger Nutzen gegenüber. Dies ist in Demokratien politisch nicht immer leicht zu vermitteln. Zudem ist die internationale Zusammenarbeit komplex und langwierig. Kein Land möchte sich durch Ver­pflich­tungen internationale Nachteile einhandeln.

Deutlich abseits des Budgetplans

Auf dieser Grundlage verwundert es nicht, dass die globalen Treibausgasemissionen nach dem Pariser Klimaschutzübereinkommen im Jahr 2015 stetig zugenommen haben, abgesehen vom COVID-Lockdown-Jahr 2020:

  2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022
Industrieländer 16,8 16,7 16,7 16,9 16,6 15,5 16,3 16,3
Schwellenländer 32,0 32,3 33,1 34,1 34,5 34,1 35,7 36,3
Total 48,9 49,0 49,8 51,0 51,2 49,6 52,0 52,6

CO2e-Ausstoss in Gigatonnen (Quelle: Emissions Database for Global Atmospheric Research (EDGAR))

Im Jahr 2022 wurde mit 52,6 Gigatonnen ein neuer Rekordwert erreicht und für das vergangene Jahr ist ein mindestens ebenso hoher Wert zu erwarten. Damit haben wir in nur vier Jahren bereits rund 45 Prozent der 465 Gigatonnen verbraucht, die uns bis 2050 für das 1,5-Grad-Ziel zur Verfügung stehen. Die Welt setzt viel Hoffnung darauf, dass wir in den nächsten 26 Jahren mit nur 55 Prozent des verbleibenden Budgets auskommen.

Schwellenländer zählen, aber nicht explizit

Gerade in Schwellenländern dauert die Dekarbonisierung aufgrund des techno­logischen Rück­stands und der verfügbaren finanziellen Mittel länger. Gleichzeitig wachsen sie zum Teil deutlich stärker als die Industrieländer. Ihr Energie­bedarf steigt und muss auch mit fossilen Energieträgern gedeckt werden. Dadurch steigen die CO2e-Emissionen in den Schwellen­ländern.

Die steigenden CO2e-Raten in den Schwellen­ländern hängen indes mit dem Konsum in den Industrie­staaten zusammen. Unternehmen in Industrie­ländern übertragen die Produktion an Dritte in Schwellen­ländern oder verlagern ihre Produktionsstätten dorthin. In Schwellen­ländern werden Güter in der Regel billiger und mit weniger Regulation oder Abgaben hinsichtlich des CO2e-Ausstosses produziert. Der Transport zurück in die Industrie­länder belastet zusätzlich. Aus einer Produktions­sicht stammen rund zwei Drittel der globalen Emissionen aus Schwellen­ländern. Die Emissionen steigen dort weiter an, während sie in Industrie­ländern leicht sinken. Der grösste Teil dieser Emissionen ist aber auf den Konsum in Industrie­ländern zurück­zuführen. Im Jahr 2021 verursachte er 84 Prozent des globalen CO2e-Austosses mit einer im Verhältnis zu Schwellen­ländern deutlich geringeren Bevölkerungs­zahl (1,4 vs. 6,5 Milliarden Menschen). Auch die Schweiz ist hier kein Musterknabe. Hierzulande wurden im Jahr 2021 45,2 Millionen Tonnen CO2e emittiert. Dies entspricht einem Treibhausgas­ausstoss pro Kopf von moderaten fünf Tonnen CO2e. Addiert man aber die durch Importgüter im Ausland verursachten Emissionen hinzu, betragen die Pro-Kopf-Emissionen ca. zwölf Tonnen CO2e. Damit liegt der Treibhausgas-Fussabdruck der Schweiz deutlich über dem weltweiten Pro-Kopf-Durchschnitt von ca. sechs Tonnen CO2e.

Parforceleistung gefordert

Das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klima­abkommens bleibt eine enorme Herausforderung, aber es ist noch nicht komplett ausser Reichweite. Dazu sind jedoch drastische Mass­nahmen erforderlich, um die Treibhaus­gas­emissionen schnell und deutlich zu reduzieren. Es braucht eine beispiellose Koordination der Zusammen­arbeit und Anstrengungen auf individueller, unter­nehmerischer, staat­licher und internationaler Ebene.

Um das volle Potenzial von Mega-Projekten wie riesigen Solarparks mit Wasser­stoff­anlagen, Speichern und Pipelines auszuschöpfen, ist es entscheidend, investoren­freundliche Bedingungen zu schaffen. Stabile politische Verhältnisse, Transparenz und vorhersehbare politische Entscheidungen ziehen Investitionen an. Zudem können Massnahmen wie die Sicherung der Rechtssicherheit sowie die Bereit­stellung von Investitions­anreizen und Garantien dazu beitragen, Inflations­risiken und Währungs­schwankungen zu mindern.

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Nachhaltigkeit