Leerkündigungen – Zeit hilft
Je emotionaler ein Thema ist, desto wichtiger sind Daten und Fakten. Nehmen Leerkündigungen zu? Und: Wie viel Zeit haben die Mieter, eine neue Wohnung zu finden?
Von Ursina Kubli, Leiterin Immobilien-Research und Ingrid Rappl, Analytics Immobilien

Mussten wir an vergangenen Präsentationen zum Immobilienmarkt teilweise erklären, was Leerkündigungen überhaupt sind, besteht seit der Entmietung der drei Stadtzürcher «Sugus-Häuser» kein Erklärungsbedarf mehr. Unsere Studie «Leerkündigungen – ein Dilemma» von November 2024 wurde in diesem Zusammenhang breit zitiert. Seither konnten wir die Statistik um ein weiteres Jahr fortschreiben. Zudem analysieren wir, wie viel Zeit den Mietenden bis zur vollständigen Entmietung des Gebäudes bleibt und was das für die verschiedenen Altersgruppen bedeutet.
Die mediale Berichterstattung könnte den Eindruck erwecken, dass Leerkündigungen in den letzten Jahren zugenommen haben. Das war aber nicht der Fall. Im Kanton Zürich blieb die Zahl der leergekündigten Wohnungen in den Jahren 2022 und 2023 unter dem Niveau der beiden Vorjahre. Interessanterweise zeigt der Trend im Kanton Basel-Stadt in diesem Zeitraum ebenfalls leicht nach unten. Hier hätte man einen starken Vorholeffekt der am 1.Januar 2022 in Kraft getretenen verschärften Regulierungen am Mietwohnungsmarkt erwartet mit einem prononcierten Rückgang danach. Für Letzteren dürfte es aufgrund von Verzögerungen zwischen Kündigungsschreiben und vollständiger Leerung der Gebäude noch zu früh sein.
Medial hochaktuell – doch Leerkündigungen haben nicht zugenommen

Dennoch bleiben Leerkündigungen ein Dilemma. Sie sind notwendig für die klimafreundliche Modernisierung und den flächeneffizienten Ausbau des Wohnungsangebotes. Betroffenen hilft die mit der Leerkündigung verbundene Aufwertung meistens nicht. Ganz im Gegenteil: Jeder muss wohnen, aber nicht jeder kann sich die gehobene Lebensqualität leisten. Es braucht daher einen Grundstock alter Wohnungen mit Sanierungsbedarf. Nur so kann günstiger Wohnraum das Angebot von Genossenschaften ergänzen. Übertragen auf die Autoindustrie darf es nicht nur Audi oder BMW geben, vielmehr braucht es auch günstigere Automarken wie Toyota oder Hyundai. Das bedeutet aber nicht, dass es keine Totalsanierungen oder Leerkündigungen mehr geben darf. Schliesslich wird der Immobilienpark jedes Jahr ein Jahr älter. Die Sanierungstätigkeit darf jedoch den Alterungsprozess der Liegenschaften nicht übersteigen. Dass der Trend von Leerkündigungen nicht nach oben zeigt, ist eine gute Nachricht.
Damit Leerkündigungen in sozialer Hinsicht möglichst verträglich sind, braucht es vor allem eines – Zeit. Mit genügendem Vorlauf haben die Betroffenen die Möglichkeit, ihr persönliches Netzwerk zu aktivieren oder mit etwas Glück auf den gängigen Immobilienportalen eine Wohngelegenheit in der Nähe zu finden. Zur Abschätzung, ob Vermieter frühzeitig kommunizieren, kann die Entwicklung der Bewohnerzahl in den Vorjahren der Leerkündigung Aufschluss geben. Das Ergebnis lässt aufatmen. Wir stellten fest, dass die Anzahl Personen in Gebäuden, die 2023 leer geworden sind, bereits ab dem Jahr 2021 zu sinken begann. Anfang 2023 wohnten nur noch 57 Prozent der früheren Bewohner im Gebäude.
Gebäude entleeren sich mehrere Jahre vor der Leerkündigung

Eine Analyse der Altersstruktur in den betroffenen Gebäuden zeigt bereits im Jahr 2020, also mehr als drei Jahre vor der vollständigen Entmietung, eine Veränderung. Ab diesem Jahr ging der Anteil älterer Personen zurück. Das legt nahe, dass die Mietenden schon damals von der Entleerung wussten und die Ü60-Jährigen am frühesten eine neue Wohnlösung gefunden haben. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Vielleicht ist es, weil die alteingesessene Bevölkerung besonders gut vernetzt ist oder schon länger einen Umzug im Kopf hatte und ihn nun vorzog. Vielleicht hatten sie auch die finanziellen Möglichkeiten für den Wechsel. Es kann aber auch sein, dass Ältere risikoaverser sind und es nicht mögen, auf einem Schleudersitz zu sitzen. Stattdessen suchen sie möglichst rasch eine Wohnung und gehen die nötigen Kompromisse ein. Die Wohnungen der älteren Personen bleiben bis zur vollständigen Entmietung des Gebäudes nicht unbewohnt. Junge rücken temporär nach. Bereits ab dem Jahr 2020 stieg der Anteil der 20- bis 30-Jährigen an. Bis zur Leerräumung im Jahr 2023 gehörte sogar jeder fünfte Bewohner zu dieser Alterskategorie. Leerkündigungen sind also eine Nische für Junge, die froh sind, aufgrund des befristeten Mietverhältnisses günstig wohnen zu können.
Ältere Mieter ziehen als Erste aus, Jüngere rücken nach

Mieter haben im Durchschnitt mindestens drei Jahre vor der vollständigen Entmietung des Gebäudes von ihrem Schicksal erfahren. Ob Vermieter mit einer langen Vorlaufzeit informiert hatten oder ob Mieter den Auszug nach
dem Kündigungsschreiben hinauszögern konnten, können diese Analysen nicht beantworten. Vermieter dürften sich aber nicht zuletzt aus Reputationsgründen ihrer sozialen Verantwortung bewusst sein.