Wirtschaftlicher Schlingerkurs dauert an
Politische Entscheide werden kurzfristig überschätzt, langfristig unterschätzt. Gilt diese Sentenz auch für Pandemien? Zumindest aus wirtschaftlicher Sicht sieht es zurzeit danach aus. Indes sind wir noch weit vom «Courant normal» entfernt, durchlebt die Schweiz doch gerade die zweite COVID-19-Welle. Gerade die Auswirkungen der Krise auf die Zinslandschaft dürften für eine sehr lange Zeit nachhallen.
Text: David Marmet
Beschleunigung versus Entschleunigung
Der Soziologe Hartmut Rosa argumentiert, dass eine moderne Gesellschaft sich nur dynamisch zu stabilisieren vermag. Das bedeutet, dass sie auf Wachstum, Innovationsverdichtung und schlussendlich auf eine Beschleunigung des Lebenstempos angewiesen ist. Schmerzlich haben wir in diesem Jahr ein jähes Ende dieser Beschleunigung erlebt. Nicht zuletzt in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welches die längerfristigen Auswirkungen der Corona-Krise sind. Findet die Wirtschaft bald wieder zum alten Wachstum zurück? Nimmt unser Leben das Tempo der letzten Jahre wieder auf, oder wird das Virus unsere Lebensgestaltung noch längere Zeit einschränken?
Alles halb so schlimm?
Mitte 2020 überboten sich die Konjunkturauguren mit negativen Szenarien. Erdrückend waren die Bilder und Erfahrungsberichte während der Lockdown-Phase. Mit einem gewissen zeitlichen Abstand von ein paar Monaten sah die Welt schon weniger düster aus. So wurde von den gesprochenen Bürgschaften und Garantien des Bundes nicht einmal die Hälfte beansprucht. Zudem ist die Arbeitslosenrate in den Sommermonaten zumindest stabil geblieben. Und die kumulierten Konkurse für 2020 lagen unter denjenigen der Vorjahre, da der Bundesrat von Mitte März bis Anfang April einen umfassenden Betreibungsstopp verordnet hatte und anschliessend den Klein- und Mittelbetrieben eine befristete Stundung gewährte (siehe Grafik). Steht die Schweizer Wirtschaft also besser da, als wir das wahrhaben wollen? Oder steht uns der Schock im Zuge der zweiten Welle noch bevor?
Kein "Courant normal" im Aussenhandel...
Tatsache ist, dass die Schweiz in diesem Jahr den stärksten wirtschaftlichen Einbruch seit der Erdölkrise Mitte der 1970er-Jahre durchlebt. Tatsache ist auch, dass nach einem so starken Einbruch die Wachstumsraten in der Folge ansehnlich hoch ausfallen werden. Wir prognostizieren für 2021 ein BIP-Wachstum von 3,5 Prozent. Die in verschiedenen Erdteilen immer wieder aufflammenden Corona-Herde lassen derweil die Hoffnung schwinden, dass die Schweizer Exportwirtschaft bald wieder zur alten Stärke zurückfinden wird. Die aussenwirtschaftlichen Impulse dürften in den nächsten Quartalen also relativ schwach ausfallen.
... aber auch nicht im Binnensektor
Der private Konsum in der Schweiz hat sich rascher erholt als im Sommer zunächst befürchtet. Mit den nach maximal 18 Monaten auslaufenden Kurzarbeitsentschädigungen werden in verschiedenen Branchen die schwelenden strukturellen Mängel allmählich zu Tage treten. Die Unternehmenskonkurse werden rascher als in der Vergangenheit zunehmen, und die Arbeitslosigkeit, von der bisher vor allem befristete Arbeitsverhältnisse und die Arbeit auf Abruf betroffen waren, wird steigen. So wird gemäss unseren Einschätzungen die Arbeitslosenrate im nächsten Herbst über 4 Prozent klettern und im Jahresschnitt 4 Prozent betragen. Der Weg zurück zur Normalität gestaltet sich also harzig. Wir müssen vorerst mit einer «95-Prozent-Wirtschaft» Vorlieb nehmen, wobei – selbstredend – ein wirksamer Impfstoff gegen COVID-19 natürlich dem Spuk ein rascheres Ende setzen könnte.
Strukturelle Veränderungen wahrscheinlich
Je länger uns die Corona-Krise beschäftigt, desto spürbarer werden die strukturellen Veränderungen ausfallen. So hat die Vollbremsung der Mobilität der Klimadebatte bekanntlich neue Impulse verliehen. Home-Office und das Vermeiden von Bargeldzahlungen haben die Digitalisierung in höhere Schwingungen versetzt. Solch strukturelle Veränderungen verlaufen erfahrungsgemäss nicht friktionslos. Die Arbeitslosigkeit wird das Vorkrisenniveau in den nächsten Jahren kaum mehr unterbieten.
Kurzfristzinsen fest verankert
Zentral ist derweil die Frage, welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die Zinslandschaft Schweiz zeitigen wird, gehören doch die Zinsen zu den wichtigsten Treibern am Immobilienmarkt. Die US-amerikanische Notenbank hat unmissverständlich signalisiert, dass sie aufgrund ihrer geldpolitischen Neuausrichtung bis mindestens 2023 nicht gewillt ist, über eine Zinsanhebung nachzudenken. Sie liefert damit eine Steilvorlage für andere Zentralbanken, auch für die Schweizerische Nationalbank. Gemäss unseren Einschätzungen wird daher der Saron in den nächsten Quartalen, wenn nicht gar Jahren, nahe beim heutigen SNB-Leitzins von 0,75 Prozent notieren (siehe Grafik). Die Langfristzinsen ihrerseits haben nur ein beschränktes Anstiegspotenzial. Wie jüngst publizierte Studien zeigen, drücken Pandemien im Gegensatz zu Kriegen die Realrenditen für mehrere Jahre nach unten. Pandemien ziehen typischerweise höhere Sparraten nach sich. Hingegen bleibt das Kapital, anders als bei kriegerischen Auseinandersetzungen, erhalten. Da in nächster Zeit in der Schweiz wohl nur für einzelne Güter höhere Preise bezahlt werden, namentlich medizinische und solche, die durch die Unterbrechung von Wertschöpfungsketten knapp geworden sind, verharrt die Inflation in niedrigen Gefilden. Ein wenig dynamisches Wirtschaftswachstum, niedrige Inflation und Notenbanken, die ultra-expansiv bleiben, sind keine Ingredienzien für steigende Renditen – und auch nicht für steigende Hypothekarzinsen.
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