Sinn sehen
Christoph Schenk, Chief Investment Officer (CIO) der Zürcher Kantonalbank, schreibt in seiner Kolumne rund ums Thema Geld und Anlegen.
Text: Christoph Schenk / Porträtillustration: Florian Bayer | aus dem Magazin «ZH» 1/2024
Sich Gedanken über die Zukunft zu machen und Annahmen zu treffen, ist Teil der menschlichen Natur – und je nachdem überlebenswichtig. Ohne zuverlässige Wetterprognose etwa könnte die schwierige Klettertour fatal enden.
In allen Gesellschaften und Epochen gab es Formen von Wahrsagerei: Weissagungen mit Wasserschale und Öl, Traumdeutung, Tieropfer, Deutung des Vogelfluges, Orakel, Kartenlegen oder Zauberei, um nur einige zu nennen. Stets war das Deuten der Zukunft geprägt von Mystik, Angst und Hoffnung. Während manche solche Prognosen als Teufelswerk ablehnten, huldigten andere jenen, die Ereignisse richtig voraussagten. Übersinnliches hat seit jeher Konjunktur, doch mit der fortschreitenden Wissenschaftlichkeit verlor der Fatalismus an Bedeutung, weil Zusammenhänge durchschaubar und Prognosen verlässlicher wurden.
Bewusst oder unbewusst, privat oder beruflich – wir alle erstellen laufend Prognosen. Täglich treffen wir Entscheidungen, die die Zukunft betreffen. Dabei wägen wir Risiken ab, entwickeln Visionen, formulieren Ziele, erstellen Pläne. Prognosen sind im Hier und Jetzt sinnstiftend und eine wichtige Grundlage für unseren Antrieb, stellvertretend für den Glauben an ein Morgen. Wer in die Zukunft blickt, kann der Gegenwart Sinn verleihen. Und wer einmal daneben liegt, kann sich getrost auf den früheren deutschen Bundeskanzler Adenauer beziehen – er sagte: «Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Nichts hindert mich, weiser zu werden.»