Den Stab übergeben
Wer übernimmt, wenn ich in Pension gehe? Diese Frage stellen sich Tausende KMU-Inhaberinnen und -Inhaber jedes Jahr. Wie die Nachfolge innerhalb eines Unternehmens oder der Familie gelingen kann, zeigen die Rolph AG und die Eugen Seitz AG: mit verbindlichem Annähern, mit Loslassenkönnen, mit dem richtigen Traum – und ohne Druck trotz Hochdruck.
Text: Patrick Steinemann / Bilder: Philip Frowein | aus dem Magazin «ZH» 2/2024
KMU – drei Buchstaben kennzeichnen die Schweizer Wirtschaft: Die kleineren und mittleren Unternehmen haben einen Anteil von 99,7 Prozent am Bestand der Schweizer Firmen, 65 Prozent aller Arbeitnehmenden hierzulande sind in einem dieser Betriebe beschäftigt. Über 100’000 KMU sind allein im Kanton Zürich registriert, 950’000 Arbeitsplätze bieten sie an.
Doch da ist noch ein anderer Begriff. Er treibt aktuell fast ein Fünftel der KMU-Inhaberinnen und -Inhaber um – und er ist zunächst meist mit einem Fragezeichen versehen: Nachfolgelösung? Wer älter ist als 60 Jahre und eine Firma besitzt, macht sich zwangsläufig Gedanken – und vielleicht auch Sorgen –, wer das eigene Unternehmen einmal übernehmen und hoffentlich erfolgreich weiterführen könnte.
Die Sorgen sind nicht unberechtigt. Längst nicht immer sei der Nachfolgeprozess von Erfolg gekrönt, weiss Marc Maurer, Leiter Unternehmensnachfolge bei der Zürcher Kantonalbank: «Etwa ein Drittel der KMU wird im Zuge der Nachfolgeregelung liquidiert.» Bleiben die rund zwei Drittel der Fälle, bei denen eine Firma erfolgreich übergeben wird und weiterbestehen kann: Was haben die Inhaberinnen und Inhaber hier richtig gemacht? «In den meisten Fällen haben sie den Nachfolgeprozess rechtzeitig angestossen», sagt Maurer. Denn vor allem familien- und firmeninterne Übergaben dauerten meist mehrere Jahre. «Es ist zwar verständlich, dass Unternehmerinnen und Unternehmer zögern, denn Nachfolgeregelungen lösen viele Emotionen aus. Aber nur wenn das Thema rechtzeitig angepackt wird, können Gestaltungsspielräume aktiv genutzt werden», sagt Maurer.
Drei Generationen kontrollieren den Druck
Doch was heisst rechtzeitig? Dass in einem Familienunternehmen wie der Eugen Seitz AG die Annäherung von Inhaber und potenziellem Nachfolger schon früh beginnt, liegt in der Natur der Verwandtschaft: Grossvater Eugen Seitz gründete 1958 in Wetzikon eine Werkstatt für Ventiltechnologie, Vater Urs Seitz entwickelte die Firma ab 1992 zuerst als Geschäftsführer, später als Eigentümer zu einem internationalen Unternehmen weiter. Und so geht diese Tradition auch an Sohn Fabian Seitz nicht spurlos vorbei: «Natürlich war ich seit dem Kindesalter immer interessiert, zu erfahren, wie das Unternehmen funktioniert und was seine Existenzberechtigung ist.»
Die Lösungen der Eugen Seitz AG kommen immer dann zum Einsatz, wenn in einem Prozess ein gasförmiges Medium kontrolliert eingesetzt werden muss. Etwa wenn Kunststoffrohlinge im sogenannten Streckblasverfahren zu PET-Flaschen ausgeformt werden. Oder wenn Hochdruck-Magnetventile dafür sorgen, dass an Erdgas- und Wasserstofftankstellen die Betankung von Fahrzeugen mit alternativen Treibstoffen robust funktioniert. «Die Komplexität der technischen Lösungen und das Ausloten von physikalischen Grenzen bei 1’000 bar Druck haben mich immer schon fasziniert», sagt Fabian Seitz. Also war auch die Firmenübergabe vom Vater an den einzigen Sohn schon immer vorgezeichnet? «Überhaupt nicht», sagt Fabian Seitz. «Auch wenn unser Geschäft etwas anderes erwarten lässt: Mein Vater hat mich nie unter Druck gesetzt, ins Unternehmen einzusteigen.»
Ich kann vom langjährigen Know-how meines Vaters profitieren.
Fabian Seitz, CEO Eugen Seitz AG
Vom Verwaltungsrat auf den CEO-Sessel
Seitz junior sammelte nach dem Maschinenbau- und Wirtschaftsstudium zuerst als Strategieberater mehrere Jahre Erfahrung in verschiedenen Industriefirmen, Vater Urs wiederum setzte nach seinem Wechsel in den Verwaltungsrat (VR) zunächst externe Geschäftsführer für die eigene Firma ein. Die (Wieder-)Annäherung ans Familienunternehmen vollzog Fabian Seitz behutsam – über den Einsitz in den VR: «Diese Rolle war sehr wichtig in meinem Entscheidungsprozess, ob und wann ich in die Familienfirma einsteigen wollte. Ich konnte so das Potenzial des Unternehmens nach und nach kennenlernen.»
2017 übernahm Fabian Seitz dann als CEO die operative Verantwortung, fünf Jahre später wurde er Eigentümer der Seitz Gruppe. Eng unterstützt wurden Vater und Sohn Seitz im Übergabeprozess auch von der Zürcher Kantonalbank, etwa in den Bereichen Nachfolgekonzept und Finanzierung. «Die Beratungen und die Kommunikation haben wir stets als sehr professionell und lösungsorientiert wahrgenommen», sagt Fabian Seitz im Rückblick. Vater Urs Seitz hat nach wie vor Einsitz im VR des Unternehmens. Aus Sicht von Sohn Fabian ein Gewinn: «Ich kann vom langjährigen Know-how meines Vaters profitieren und habe bei strategischen Entscheiden immer einen Sparringpartner an meiner Seite.»
Werte und Erneuerung
Hier ein Schweizer Unternehmen mit langjähriger Geschichte und traditionellen Werten, da ein internationaler Markt mit unterschiedlichen Kulturen: Für Fabian Seitz ist die Weiterentwicklung des Unternehmens immer eine gewisse Gratwanderung. «Wir müssen unsere Innovationskraft stärken und uns an den Kunden orientieren, doch auch neue Schwerpunkte setzen in der Kulturentwicklung an unserem Heimstandort.» Dort, im Zürcher Oberland, wird es bald auch räumliche Veränderungen geben: Die Eugen Seitz AG plant einen neuen Hauptsitz in Pfäffikon ZH. Vater Urs trägt den Erneuerungskurs mit und ist in den Standortwechsel involviert.
Für Marc Maurer von der ZKB ist die Nachfolgelösung bei der Eugen Seitz AG eine Erfolgsgeschichte: «Bei einer Übergabe müssen die gefundenen Lösungen für alle Betroffenen stimmen, für die Übergebenden, die Übernehmenden und die Unternehmung – bei der Eugen Seitz AG ist das definitiv der Fall.» Familieninterne Lösungen machen knapp ein Drittel aller Nachfolgeregelungen aus und dauern im Durchschnitt mehr als sechs Jahre. Mit durchschnittlich neun Monaten deutlich weniger lange dauern Verkäufe an externe Nachfolgerinnen oder Nachfolger, sie machen ein weiteres knappes Drittel aus. Seltener kommt ein sogenanntes Management-Buy-out (MBO) vor, also eine Übergabelösung an Mitarbeitende innerhalb einer Firma: Gemäss Studien kommt es nur in 13 Prozent aller Nachfolgeregelungen zu solchen Lösungen. Sie dauern ähnlich lange wie familieninterne Übergaben.
Nischenbranche als Herausforderung
Bei der Rolph AG in Kloten erwies sich ein MBO als der richtige Weg. Auch die Geschichte dieses Nischeneinzelhändlers für Perücken und Haarersatzprodukte kannte zunächst eine familieninterne Übergabe: Ralph Anderegg übernahm 1991 die Geschäftsführung von seinem Vater Rolf Anderegg, der die Firma 1965 gegründet hatte. Später übernahm Ralph auch die gesamten Aktien von seinem Vater Rolf. Da eine weitere familieninterne Übergabe mangels Nachfolgerin oder Nachfolger kein Thema war, machte sich Ralph Anderegg schon mit 50 Gedanken, wie es mit der Firma dereinst weitergehen könnte. Dass es keine ganz simple Sache werden könnte, war ihm bewusst: «Wir sind in einer Nischenbranche tätig, es gibt nur wenige Mitbewerber und entsprechend wenige Personen, die Know-how zu unseren Produkten mitbringen können – eine Ausbildung zum Perückenmacher gibt es in der Schweiz schon lange nicht mehr.»
Anderegg holte sich deshalb vorerst Verstärkung in einem Bereich mit Potenzial, dem Marketing. Und als er 2019 Sabrina Kaiser-Kossmayr, Inhaberin einer eigenen Mediaagentur, mit einem entsprechenden Mandat betraute, ahnte Anderegg noch nicht, was sich daraus entwickeln würde. Doch das Grundgefühl für die Zusammenarbeit passte von Beginn weg für beide. Und so wurde aus dem Mandat von Kaiser-Kossmayr bald eine Festanstellung im Teilzeitpensum. Sie wurde Mitglied der Geschäftsleitung und übernahm die Verantwortung für Marketing, Verkauf und Digitalisierung. Die gebürtige Österreicherin entwickelte dabei rasch ein Gefühl für das nicht alltägliche Geschäftsfeld: «Haare sind für die meisten Menschen etwas Essenzielles. Sie tragen wesentlich dazu bei, sich selbst zu definieren. Entsprechend gross sind die Emotionen bei einem Haarverlust.»
Der Traum vom Aktienkauf
Der erste Schritt zur eigentlichen Nachfolgeregelung erfolgte dann quasi im Schlaf: «Ich träumte, dass ich Aktien der Rolph AG kaufe», berichtet Sabrina Kaiser-Kossmayr. Sie erzählte Ralph Anderegg am nächsten Tag davon – und schon waren die beiden in intensiven Gesprächen, entwickelten Ideen und skizzierten mögliche Lösungen auf Papier. Aus dem guten Gefühl wurde rasch fast blindes Vertrauen. Doch irgendwann realisierten die beiden, dass es auch eine Verbindlichkeit und einen Vertrag für die Firmenübernahme braucht.
Als Anderegg die Zürcher Kantonalbank als seine langjährige Finanzpartnerin für diese Aufgabe vorschlug, war Kaiser-Kossmayr zuerst etwas skeptisch: Könnte die ZKB vielleicht etwas parteiisch zugunsten des Verkäufers sein? Doch schon nach den ersten Gesprächen spürte auch die Käuferin in spe die Professionalität der ZKB-Vertreter und fasste ebenfalls Vertrauen zur Bank. «Für uns beide war diese Aussensicht sehr wichtig, schliesslich sollten beide Partner ihre Wünsche einfliessen lassen können, und die gefundene Lösung sollte am Ende für beide Seiten fair sein», sagt Ralph Anderegg. Auch Sabrina Kaiser-Kossmayr zieht ein positives Fazit: «Für mich war dieser Einkauf in die Firma eine emotionale Achterbahn, aber ich fühlte mich immer gut verstanden und beraten.»
Meine Nachfolgerin ist die Zukunft und muss gestalten können.
Ralph Anderegg, Rolph AG
Am gleichen Strick ziehen
Bald waren die Modalitäten geklärt: Kaiser-Kossmayr übernahm 2022 zunächst einen Anteil von 25 Prozent an der Rolph AG. Bis zum geplanten Ausscheiden von Anderegg im Jahr 2031 wird sie die restlichen 75 Prozent der Anteile erwerben. Auch beim Verkaufswert wurden sich die beiden einig – und erhielten schon im ersten Anlauf die Genehmigung des Kantonalen Steueramts, das in diesem Punkt mitredet. Doch ein Fragezeichen blieb: Wird es funktionieren, der langjährige Chef, aktuelle VR-Präsident und noch Mehrheitsaktionär und die neue CEO und Minderheitsaktionärin über mehrere Jahre gemeinsam an der Spitze der Firma?
«Wir waren uns bewusst, dass dies eine besondere Konstellation ist, und mussten lernen, damit umzugehen», sagt Sabrina KaiserKossmayr. «Wir sind immer im direkten Austausch und jeder macht, was er am besten kann.» Auch für Ralph Anderegg hat sich die Aufteilung der Aufgaben bisher bewährt. Eine dieser Aufgaben heisst für ihn auch: abgeben. «Sabrina ist die Zukunft, sie muss gestalten können, ich muss ihr Platz einräumen und mich zurücknehmen.» Und was ist das Wichtigste aus Sicht von Übergeber und Übernehmerin? «Verständnis füreinander», sind sich Anderegg und Kaiser-Kossmayr einig.
Mehr als nur finanzieller Gewinn
Verständnis für unterschiedliche Perspektiven: Das ist auch für Marc Maurer von der Zürcher Kantonalbank einer der zentralen Punkte bei einer Unternehmensnachfolge. «Nur indem aktiv aufeinander zugegangen wird, können sich Unternehmerinnen und Unternehmer und ihre Nachfolgerinnen und Nachfolger finden.» Das sei zwar nicht immer einfach, da es sich bei einem KMU häufig um das Lebenswerk einer Person handle. Dafür sei der Gewinn im Erfolgsfall hoch – und das nicht in erster Linie in finanzieller Hinsicht: «Durch gelungene Nachfolgelösungen bleibt wertvolles Know-how erhalten, Mitarbeitende behalten ihren Arbeitsplatz und Kundinnen und Kunden ihren vertrauten Partner.»