Himmel voller Bratschen

In ihrem Atelier in Zürich Oerlikon baut Julia van der Waerden mit viel Hingabe Geigen, Bratschen und Cellos. Nach mehreren Monaten Arbeit ertönen aus den Holzkörpern reine Klänge.

Text: Markus Wanderl / Bilder: Marvin Zilm | aus dem Magazin «ZH» 1/2021

Geigenbauerin? Ist das denn treffend genug formuliert? Schliesslich fertigt Julia van der Waerden in ihrem erdgeschossigen Atelier im Hunziker Areal in Zürich Oerlikon auf Wunsch auch eine Bratsche an. Oder ein Cello. Dann bedarf es erst recht der Geduld. Sind Geige und Bratsche jeweils nach etwa drei Monaten fertiggestellt, dauert der Bau eines Cellos rund ein halbes Jahr. Ihr seit 1995 kumuliertes Wissen lässt Julia van der Waerden stets einfliessen in Korpus, Schnecke, Hals und Steg – und viel Leidenschaft. Sie weiss: Auch dieses nach allen Regeln vorstellbarer Kunst verfertigte Instrument wird dereinst in gute Hände gelangen. Noch ist die Geige im Rohbau.

Hier trifft die Redensart für einmal buchstäblich zu: «Wo gehobelt wird, da fallen Späne». Doch den Spänen dieser Bratsche wohnt in Wahrheit etwas Wertvolles inne. Denn der Resonanzkörper aus Decke, Boden und Zargenkranz besteht aus Fichte und Ahorn. Und wie unkt manch einer in Zeiten der Trockenheit und des Borkenkäfers? Zumindest die Fichte ist vielerorts womöglich bald: Geschichte.

Geigenbau: Holzspäne

Die unterschiedlichsten Werkzeuge und Utensilien hat Julia van der Waerden stets griffbereit. Die Seele haucht dann dem Instrument die Person ein, die es auch spielt! Mit sieben Jahren übte Julia van der Waerden das Geigenspiel zum ersten Mal, und bald griff sie zur Bratsche. Was führt die Bratsche noch einmal im Vergleich zur Geige? Genau, ein Schattendasein! Ja, ja, an den Spruch ist Julia van der Waerden gewöhnt. Doch sie, die Bratschistin, lächelt cool, als er fällt.

Geigenbau: Werkzeuge im Atelier

Derzeit, also nicht immer, mag Julia van der Waerden die Geige am liebsten. Wegen ihrer «brillant hohen Töne». Diese kämen ohne die Klangöffnungen gar nicht erst zustande. Schon die renommierten Geigenbauerwerkstätten in Cremona bauten vor Hunderten von Jahren die beiden F-Löcher stetig immer schmaler und länger. Sie hatten festgestellt: Ein Schallloch mit möglichst viel Rand und wenig Innenraum ist für die Klangfülle optimal, die akustische Kraft nimmt zu.

Geigenbau: Geige im Rohbau

Wie Julia van der Waerden das wurde, was sie ist? Matura mit Schwerpunkt Musik, Geigenbauschule Mittenwald und Lehre bei Rudolf Isler in Glarus und Zürich, 1999 Abschluss in Brienz mit Auszeichnung, dann Praxis­erwerb von 1999 bis 2001 in Leiden, Niederlande, und von 2001 bis 2005 bei Christophe Landon in New York.

Geigenbauerin Julia van der Waerden in ihrem Atelier

Beim Stelldichein in der lichtdurchfluteten Werkstatt Julia van der Waerdens fällt die Frage, warum die Instrumente nicht mal bunt, sondern immer braun sind? Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Schweizer Verbands der Geigenbauer und Bogenmacher erschuf Julia van der Waerden zumindest ein Bild. Und so schmückt das Zürcher Viadukt vor 100 Jahren die Geige – und die Kornhausbrücke von heute.

Geige mit Bild auf dem Klangkörper

Zahlen und Fakten

Branche:

Musikinstrumentenbau

Beruf:

Neubau von Geigen, Bratschen und Celli; Restauration alter Meisterinstrumente; Handel, Verkauf und Vermietung von Streichinstrumenten

Anzahl:

Rund 200 GeigenbauerInnen in der Schweiz

Betriebe:

120 bis 130 in der Schweiz

Lernende:

Zehn Ausbildungsplätze; vergeben werden pro Jahr zwei oder drei Plätze.

Zukunft:

Keine Nachwuchs­sorgen – und die Branche geht fest davon aus, dass das so bleibt. 

Weitere Infos:

Erfahren Sie auf der Website Geigenbauer

 

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