«Teilen bietet Chancen»
Werkzeug, Autos, Schlafplätze – teilen lässt sich fast alles. Via Internet, ganz einfach von privat zu privat. Die Sharing-Economy gilt als Wirtschaftsformel für eine nachhaltigere Welt. Wo das Potenzial am grössten ist, weiss Dominik Georgi, Professor für Marketing und Konsumentenverhalten an der Hochschule Luzern.
Interview: Isabel Hempen / Bilder: monsefwinteler | aus dem Magazin «ZH» 3/2024
Herr Georgi, der Erfolg von Plattformen wie Airbnb begründete die Sharing-Economy. Hält der Trend zum Teilen weiter an?
In den über zehn Jahren, in denen ich mich mittlerweile mit dem Thema beschäftige, hatte ich immer mal den Eindruck, der Hype habe abgenommen. Doch das täuschte: Der Sharing-Gedanke ist heute in vielen innovativen Konzepten verankert – nicht zuletzt in der viel diskutierten Kreislaufwirtschaft. Ein Kernanliegen der Sharing-Economy ist die gemeinsame Nutzung von Ressourcen, das bedeutet in der Folge Klimaschutz. Dieser wird immer wichtiger – und deshalb wird der Trend auch anhalten.
Zur Sharing-Economy zählen sehr unterschiedliche Angebote. Was gehört dazu?
Da muss ich eine für einen Wissenschafter typische Antwort geben: Es gibt keine einheitliche Definition. Wichtige Merkmale der Sharing-Economy sind etwa, dass eine Onlineplattform vorhanden ist und es sich um ein Peer-to-Peer-Modell handelt, dass also Privatpersonen untereinander etwas tauschen. Ein typisches Sharing-Modell im engeren Sinn ist die Schweizer Plattform Sharely, auf der Privatpersonen Werkzeuge oder Festbänke vermieten. Im weiteren Sinne muss man aber sicher auch Carsharing à la Mobility dazuzählen. Dabei werden die Fahrzeuge meist nicht von Privatpersonen, sondern von Unternehmen zur Verfügung gestellt. Das zeigt, dass ein zu enger Sharing-Begriff wenig sinnvoll ist. Auch ist der Übergang zur Vermietung fliessend.
Gibt es trotzdem einen gemeinsamen Nenner?
Den Nachhaltigkeitsaspekt. In unserem Projektteam an der Hochschule Luzern verstehen wir Sharing-Economy grundsätzlich als etwas Positives, das intensiviert werden sollte, weil es die nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft unterstützt. Die geteilte Nutzung kann in verschiedensten Bereichen einen wesentlichen Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit leisten. Sieht man das Konzept unter diesem Blickwinkel, gehört sehr vieles dazu. Secondhandläden oder Onlinemarktplätze folgen ebenfalls dem Sharing-Gedanken. Wenn Dinge wiederverwendet werden, ist das auch eine Form von Teilen – die Güter werden einfach zeitversetzt genutzt. Gemeinsam genutzte Räume tragen ebenso zu mehr Nachhaltigkeit bei, zum Beispiel Co-Working-Spaces.
Dominik Georgi
Prof. Dr. Dominik Georgi (53) ist Professor für Marketing und Konsumentenverhalten am Institut für Kommunikation und Marketing (IKM) der Hochschule Luzern (HSLU). Seine Forschung fokussiert sich auf Kundenbeziehungsmanagement und Sharing-Economy. Er unterstützt Unternehmen und Organisationen wie etwa Stadtverwaltungen bei der Analyse und Gestaltung ihrer Kundenbeziehungen, um so Wert für die Kunden und die Organisation zu schaffen.
Mit der Sharing-Economy den Klimawandel bekämpfen – geht das?
Grundsätzlich ja. Wenn eine Person Carsharing nutzt und deshalb kein eigenes Auto kauft, ist das positiv fürs Klima. Es werden Ressourcen gespart, es wird weniger CO2 ausgestossen. Wenn diese Person jedoch mit dem durch das Carsharing gesparten Geld eine Fernreise unternimmt, wird die positive Umweltwirkung des Carsharings überkompensiert. Deshalb muss das Konsumverhalten stets ganzheitlich betrachtet werden. Doch Ressourcen teilen bedeutet automatisch auch Ressourcen sparen, deshalb sind Sharing-Modelle ein effektives Mittel gegen den Klimawandel.
In welchen Bereichen gibt es am meisten Potenzial für Einsparungen?
Gross ist das Potenzial sicherlich im Verkehr. Neben dem etablierten Auto-, E-Scooter- und Bikesharing gibt es hier auch interessante neue Ideen: Beim Ridepooling-Service Moia aus Hamburg, mit dem die Amag eine Kooperation angekündigt hat, fahren Kleinbusse keine feste Route, sondern holen die Passagiere an bestimmten Haltepunkten ab. Neue Möglichkeiten sehe ich auch beim Wohnsharing – zum Beispiel bei Konzepten mit Gemeinschaftsräumen und weniger privatem Wohnraum. Das kann eine grosse Küche sein, die von mehreren Parteien genutzt wird. Wohnraum ist einer der Hauptverursacher von CO2-Emissionen, entsprechend gross ist hier das Einsparpotenzial. Solche Modelle zählen nicht im engeren Sinn zur Sharing-Economy, aber sie zeigen: Aus der Sharing-Logik können innovative Angebote entstehen.
Modelle wie Mobility sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Dominik Georgi, Professor Hochschule Luzern
Wie verbreitet ist die Sharing-Economy in der Schweiz?
Mobility gehörte bei uns zu den Vorreitern und die Carsharing-Plattform ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das genossenschaftlich organisierte Unternehmen ist ähnlich bekannt wie die globalen Sharing-Marktführer Airbnb und Uber. Neben den bekannten Bike- und E-Roller-Sharing-Angeboten sind in der Schweiz in den letzten Jahren zahlreiche weitere Angebote entstanden, unter anderem eine Plattform für das Teilen von Booten und verschiedenste weitere Tauschbörsen. Auf diesen werden Kleider und andere Güter getauscht, aber auch Dienstleistungen – Rasenmähen gegen Steuerberatung zum Beispiel. Auch Nachbarschaftshilfe wird seit der Pandemie vermehrt über Sharing-Plattformen organisiert.
Gibt es konkrete Zahlen zur Nutzung dieser Angebote?
Wir haben dazu vor zwei Jahren eine schweizweite Befragung durchgeführt. In den Kantonen Zürich, Basel und Bern nutzte damals rund ein Drittel der Bevölkerung Sharing-Angebote. Dabei ist zu beachten, dass Sharing-Angebote in den Bereichen Verkehr und Wohnen mit Abstand am beliebtesten sind. Plattformen für den Tausch von sonstigen Gebrauchsgütern oder Dienstleistungen sind hingegen bis heute eine Nische. Vom eingangs erwähnten Sharely hatten in unserer Befragung im Kanton Zürich 26 Prozent schon einmal gehört, aber nur zwölf Prozent kannten die Plattform näher und lediglich fünf Prozent hatten sie bereits einmal genutzt.
Wer nutzt Sharing-Angebote – und warum?
Aus unseren Studien geht hervor, dass finanzielle Motive bei der Nutzung von Sharing-Angeboten die Hauptrolle spielen und junge Menschen daher tendenziell stärker davon Gebrauch machen. In einer unserer Befragungen war das ökologische Motiv nur für fünf Prozent der Nutzerinnen und Nutzer ein Haupttreiber. Ein weiteres wichtiges Motiv ist die Funktionalität. Ein Angebot soll praktisch sein oder einen Prozess vereinfachen. Schliesslich gibt es noch das hedonistische Motiv: Eine Sache soll Spass machen. Wie diese Motive gewichtet werden, ist von Person zu Person unterschiedlich.
Ist das Besitzdenken des Menschen ein Hemmschuh für die Entwicklung der Sharing-Economy?
Es wird immer Menschen geben, die sich ein eigenes Auto kaufen, weil es bequemer ist oder einfach nur als Statussymbol. Jeder Mensch möchte bestimmte Dinge besitzen. In manchen Bereichen kann er aber zu weniger Besitz bewegt werden – wenn es eine gute Alternative gibt.
Wie lässt sich der Sharing-Gedanke in der Bevölkerung fördern?
Die Bereitschaft zum Teilen ist meinem Eindruck nach bei vielen gegeben. Damit eine Sharing-Kultur entstehen kann, müssen die Grundlagen dafür geschaffen werden. Wenn Gemeinden unterschiedliche Player zusammenbringen, können sie in Sachen lokaler Nachhaltigkeit viel bewirken. Einige Städte gestalten das Sharing bereits heute aktiv, sei es durch Rahmenbedingungen für Car- oder Bikesharing-Angebote oder durch die Bereitstellung eigener Ressourcen wie etwa die Zwischennutzung leer stehender Gebäude. Für Städte ist Sharing aber auch als Haltung interessant: Wie soll der öffentliche Raum aufgeteilt werden und wo lassen sich überall Ressourcen teilen? Oder wie lässt sich der Verkehr über Sharing-Angebote steuern?
Die Stadt als Sharing-Anbieterin – funktioniert das?
Durchaus, bei der Mobilität ist dies ja bereits heute der Fall. Viele Städte bieten eigene Shared-Mobility-Lösungen an. Unsere Vision ist es, dass die öffentliche Hand das Konzept auch in anderen Bereichen nutzt und Gemeinden als Vertrauensanker eine zentrale Sharing-Börse anbieten. Eine Stadt könnte eine Plattform betreiben, auf der unterschiedliche Güter und Dienstleistungen gebündelt sind. Eine solche vertrauenswürdige Anlaufstelle mit grossem Angebot würde die Leute dazu animieren, Sharing häufiger auszuprobieren. Bisher haben sich in der Sharing-Economy zwar jene Konzepte als besonders erfolgreich erwiesen, bei denen jeweils nur eine einzige Ressource getauscht wird. Gemeinden könnten aber auch einen Sharing-«Supermarkt» etablieren.
Hat die Sharing-Economy nur in Ballungszentren Potenzial oder auch auf dem Land?
In der Stadt hat die Sharing-Economy generell sicher mehr Chancen, weil hier die Besiedlung dichter ist. Es können mehr Leute erreicht werden und die Wege sind kürzer. Doch Sharing-Modelle lassen sich auch auf dem Land umsetzen. Eine interessante Entwicklung sind zum Beispiel Co-Working-Spaces in Bergdörfern. Dörfer mit einer hohen Abwanderung profitieren davon, wenn Co-Worker wieder Leben in den Ort bringen. Allerdings muss das gut geplant sein. Wenn die Hälfte der Bevölkerung irgendwann wieder abwandert, ist das für den Zusammenhalt der Gemeinde natürlich nicht förderlich.
Mit der Sharing-Economy verbindet man idealistische Motive. Lassen sich diese mit wirtschaftlichem Profit vereinbaren?
Ich finde schon. Wer einen gesellschaftlichen Nutzen stiftet, soll auch Profit machen dürfen. Viele innovative Geschäftsmodelle tragen heute den Sharing-Gedanken in sich, und wir benötigen noch mehr Start-ups, die über das Teilen von Ressourcen die Nachhaltigkeit fördern. Denn politische und soziale Initiativen werden nicht genügen.
Wir benötigen noch mehr Start-ups, die über das Teilen von Ressourcen die Nachhaltigkeit fördern.
Dominik Georgi, Professor Hochschule Luzern
Was benötigt ein Sharing-Economy-Geschäftsmodell, damit es erfolgreich ist?
Eine zentrale Voraussetzung ist, dass die geteilte Ressource ungleich vorhanden ist, dass also etwas zur Verfügung gestellt wird, was viele sich nicht anschaffen können oder wollen. Das müssen nicht unbedingt Güter sein, auch Know-how ist in der Gesellschaft ungleich verteilt. Wichtig ist zudem die Convenience: Der Sharing-Prozess muss so einfach und bequem sein wie eine Onlinebestellung. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist eine gut funktionierende Community, die Leistungen und Personen aktiv bewertet. Als Nutzer sehe ich so anhand der Bewertungen, ob ich einer Person vertrauen kann.
Hat sich die Anbieterseite der SharingEconomy im Laufe der Jahre professionalisiert – von Privatpersonen hin zu Unternehmen?
In der Tendenz ist es sicher so, dass Plattformen als privates Peer-to-Peer-Modell starten und sich mit der Zeit immer stärker professionalisieren. Airbnb hatte zu Beginn einen ausgeprägten sozialen Charakter – angelehnt ans Couch Surfing. Heute ist es eher eine Ferienwohnungsvermittlung als eine Sharing-Plattform, weshalb es vermehrt auch kritisch gesehen wird.
Braucht es deshalb strengere gesetzliche Regulierungen?
Sharing-Plattformen schaffen oftmals neue Geschäftsmodelle. Der Gesetzgeber benötigt Zeit, um abzuwägen, wie er damit umzugehen hat. In dieser Übergangsphase kann die traditionelle Wirtschaft benachteiligt sein. Neue Plattformen haben jedoch häufig das Problem, dass sie nicht aus ihrer Nische herauskommen. Da wäre es besser, sich darauf zu konzentrieren, inwiefern man sie unterstützen kann, statt zu überlegen, wie man sie einschränkt. Gleichzeitig müssen wir natürlich dafür sorgen, dass auch Sharing-Anbieter die rechtlichen Rahmenbedingungen einhalten, insbesondere beim Arbeitsrecht. Sharing soll schliesslich nicht nur ökologisch, sondern auch sozial nachhaltig sein.