«Beim Erben gibt es nur ein Wort: danke!»
Angelaufenes Silberbesteck, angehäuftes Bargeld und angespannte Erben: Bei seinen Verwertungen von Nachlässen und Konkursen erlebt Jürg Hoss so einiges. Ein Gespräch über das, was bleibt.
Interview: Patrick Steinemann / Bilder: Lea Meienberg | aus dem Magazin «Meine Vorsorge» 1/2024
Geht ein Leben zu Ende, dann kommen Sie: schätzen ein, räumen aus und lösen auf. Auf den ersten Blick eine eher bedrückende Arbeit, Herr Hoss.
Dabei ist es ein sehr befreiendes Tun! Durch meine Arbeit helfe ich vielen Beteiligten, seien das Erben, Stiftungen oder Notariats- und Konkursämter. Im Gegensatz zu den Erben habe ich eine Distanz zu den Nachlassobjekten, kann unbelastet entscheiden, ob etwas verkauft werden kann oder entsorgt werden muss. Ich biete Lösungen an – und so auch Platz für Neues.
Wenn Sie gerufen werden, dann häufig wegen einer ungeregelten oder ungeplanten Situation. Sie schaffen dann Ordnung, schenken Dingen ein zweites Leben …
… und setze damit in der Praxis um, was die Politik heute propagiert: eine Kreislaufwirtschaft. Eigentlich gibt es die aber schon seit jeher. Möbel, Teppiche oder Kunstwerke mit einer langen Geschichte werden gekauft und später weitervererbt. Im Zeitalter der Billigmöbel und des Online-Shoppings ist das aber etwas in Vergessenheit geraten. Wegwerfen geht vielen heute leicht von der Hand; wir hingegen entsorgen nur, was wirklich wegmuss.
Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie eine Tür zu einer Nachlass-Wohnung oder zum Gebäude einer Firma im Konkurs öffnen?
Für mich ist es stets eine Art Schatzsuche. Natürlich erhalte ich von meinen Auftraggebern gewisse Vorinformationen, es ist jedoch immer wieder spannend, was ich antreffe. Manchmal folgt einer Erwartung auch Ernüchterung. Ich weiss nur eines: Vom Bankvermögen einer Person kann nie auf den Inhalt einer Wohnung oder eines Hauses geschlossen werden.
Jürg Hoss
Jürg Hoss führt sein Liquidationsgeschäft in Zollikon seit 30 Jahren in zweiter Generation. Er schätzt private Nachlässe und Konkursmassen und organisiert Verwertungsverkäufe. Seine Auftraggeber sind Notariate, Konkursämter, Banken oder Privatpersonen in der gesamten Schweiz.
Überraschungen und spezielle Funde gehören bei Ihrer Arbeit also dazu.
Die gibt es tatsächlich. Etwa als ich in einer Wohnung mal Bargeld in Millionenhöhe in einer Guetzlibox gefunden habe. Ich bin aber auch schon auf teuren Schmuck gestossen in Wohnungen, in denen ich ihn nicht erwartet hätte. Wenn alles seine Richtigkeit hat, ist es einfach ein unerwartetes Erlebnis. Wenn hingegen in einem Nachlass-Konkurs einer Firma plötzlich drei teure Uhren auftauchen, dann kläre ich die Herkunft schon ab oder schalte die Polizei ein. Auch wenn speziell teure Bilder auftauchen und ich ein ungutes Gefühl habe, sichere ich mich mit Recherchen so gut wie möglich ab.
Wie kommen Sie zu Ihren Aufträgen?
Meist sind es langjährige Partner oder Auftraggeber, die mich kontaktieren, darunter auch Institute wie die Zürcher Kantonalbank. Ein Auftrag kann nur eine Schätzung für die Erben umfassen oder eine Einlagerung von Inventar, wenn die Erben noch gesucht werden. Ich mache aber auch Vorschläge, wie eine Nachlassverwertung ablaufen kann. Und falls gewünscht, führe ich dann den Liquidationsverkauf durch.
Diese Liquidationen finden meistens gleich vor Ort statt.
Das ist die einfachste und beste Variante, so entfallen die Transport- und Einlagerungskosten. Wir räumen einen Haushalt zuerst auf, putzen das Silberbesteck und stellen alle Waren präsentabel auf. Sehr persönliche Dinge entsorgen wir aus Pietätsgründen. Ziel einer Liquidation ist es stets, einer verstorbenen Person gerecht zu werden.
Resultiert immer ein Gewinn?
Bei kleineren Aufträgen kann es auch mal ein Nullsummenspiel sein, das heisst, die Verkaufserlöse decken meine Kosten sowie die Entsorgungsgebühren für jene Dinge, die nicht verkauft werden können. Da ich prozentual zum Verkaufserlös entschädigt werde, bin ich immer motiviert, gut zu verkaufen. Genauso wichtig ist es jedoch, die Auftraggeber wie die Käuferinnen und Käufer zufriedenzustellen – es muss für alle stimmen, denn mein Geschäft ist Vertrauenssache. Dieses immer wieder neu geschenkte Vertrauen spornt mich auch an, einen guten Job zu machen.
Welche Kompetenzen braucht ein Liquidator – neben dem Verkaufsgeschick?
Er muss mit Menschen umgehen können. Es braucht aber auch viel Fachwissen – etwa bei Kunstgegenständen – und gute Kenntnisse des Marktes und seiner Akteure. Überhaupt die Erfahrung: Ich habe sehr von meinem Vater profitiert, der das Geschäft 40 Jahre lang betrieben hat. Und jetzt bin ich auch schon 30 Jahre im Beruf.
Vor allem aber müssen Sie den Wert von Objekten bestimmen – vom Stabmixer bis zum Salontisch.
Bei etwa 80 Prozent der Waren kann ich selbst eine Einschätzung vornehmen. In gewissen Bereichen ziehe ich auch Expertinnen oder Experten bei, etwa bei alten Münzen oder bei Briefmarkensammlungen. Auch bei gewissen teuren Bildern braucht es die Bestätigung von Sachverständigen, das verlangen die Auftraggeber und die Kundinnen und Kunden.
Haben Sie auch beim privaten Einkaufsbummel immer den geschäftlichen Blick aufs Preisschild?
Den braucht es tatsächlich. Schliesslich kann es vorkommen, dass ich bei der nächsten Liquidation den Preis für eine Gucci-Handtasche oder eine Vase von Lalique festlegen muss.
Es muss für die Auftraggeber wie für die Käufer stimmen, denn mein Geschäft ist Vertrauenssache.
Jürg Hoss, Liquidator
Ihre Verkäufe unterscheiden sich aber deutlich von Transaktionen in einem Geschäft an der Bahnhofstrasse.
Aber sicher! Ich biete meist keine Neuware an und so unterscheiden sie sich natürlich zuerst beim Preis. Fachgeschäfte und Galerien haben deutlich höhere Preise, da sie auch einen Verkaufsraum und ständiges Personal einkalkulieren müssen. Bei mir sind die Kosten tiefer, da ich meist ab Platz verkaufen kann. Und das Einkaufserlebnis bei meinen Liquidationen ist ein anderes: Neben einer pulsierenden Einkaufsstimmung sehen die Käufer, wo ein Gegenstand herkommt, sie können seine Geschichte zumindest erahnen.
Welche Objekte verkaufen Sie oft und gut?
Möbel aus den 1960er und 70er Jahren oder Klassiker aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts laufen besser als antike Möbel. Auch Kunst verkaufen wir sehr gut – viele Bilder erhalten oder vermehren ihren Wert. Silberbesteck ist dagegen sehr rückläufig. Und Tischwäsche will fast niemand mehr – heute legt kaum noch jemand ein Tischtuch auf.
Wenn Sie Haushalte liquidieren, erhalten Sie tiefe Einblicke ins Leben von Personen.
Bei Verwertungen werden familiäre Verhältnisse meist schon deutlich. Je älter ich werde, umso öfter sage ich bei Auseinandersetzungen und Erbstreitereien meine Meinung. Meistens hilft eine solche Einschätzung von aussen auch den uneinigen Erben. Ich frage die Parteien auch immer, ob der Streit im Sinne der Verstorbenen wäre. Denn eigentlich gibt es in einem Erbfall nur ein einziges Wort: danke! Schliesslich erhält man etwas, das man nicht im herkömmlichen Sinn verdient hat.
Können Menschen Vorkehrungen treffen, damit es gar nicht zu einer Liquidation kommt?
Irgendeine Verwertung des Nachlasses muss immer gemacht werden, ich habe deshalb keine Angst um mein Geschäft. Was aber sicher hilft gegen spätere Unstimmigkeiten: sich zu Erbschaftsangelegenheiten seriös beraten zu lassen – etwa bei der Bank seines Vertrauens. Am besten informieren Erblasser ihre Nachkommen schon zu Lebzeiten darüber, was sie besitzen und wer später was erhalten soll. Auch das Aufsetzen eines Testamentes oder eines Vorsorgeauftrages ist hilfreich.
Sie haben Ihren persönlichen Nachlass sicher vorbildlich geregelt.
Ja, ich denke schon. Allerdings ist die Situation in meiner Familie nicht sehr kompliziert – ich habe nur eine Tochter.
Was rät ein Mensch, der beruflich immer ans Ende denken muss, den Lebenden?
Nicht nur an später denken, sondern das Leben zu Lebzeiten geniessen. Also das Tafelsilber und das Porzellan nicht nur für den Nachlass im Schrank behalten, sondern sich daran freuen, solange es geht.
Darauf kommt es in Erbschaftsfragen an
- 1 Regeln Sie Ihren Nachlass rechtzeitig: Es ist niemals zu früh, sich über die persönlichen Hinterlassenschaften Gedanken zu machen. Legen Sie fest, wer was aus Ihrem Nachlass erhalten soll und beziehen Sie Ihre Erben in die Planungen mit ein.
- 2 Setzen Sie wichtige Dokumente auf: Mit einem Testament und weiteren Dokumenten wie einem Ehe- oder Erbvertrag können Sie den Spielraum des Gesetzes nutzen und über Ihr Erbe bestimmen.
- 3 Informieren Sie sich: Auf unserer Webseite informieren wir Sie über das seit Anfang 2023 geltende neue Erbrecht und die Motive von Vererbenden und Erbenden (Erbschaftsstudie).
- 4 Lassen Sie sich beraten: In der kostenlosen Basisberatung ZKB Erbschaft-Check erhalten Sie einen Überblick über Ihre Handlungsoptionen. Gerne unterstützen wir Sie auch mit einer weitergehenden Güter- und erbrechtlichen Beratung.