Pensionskassen sind gut auf ein Ja vorbereitet

Am 22. September entscheidet das Volk über die BVG-Reform. Ihr Einfluss auf die berufliche Vorsorge und einzelne Kassen hält sich allerdings in Grenzen. Viele Pensionskassen haben ihre Hausaufgaben in den vergangenen Jahren gemacht und ihre Parameter an die aktuellen Rahmenbedingungen angepasst.

Text und Interview: Susanne Kapfinger, SDA/AWP

Die Stimmbevölkerung kann am 22. September über die BVG-Reform befinden.

Seit der letzten BVG-Reform im Jahr 2004 haben sich Demografie, Gesellschaft und Arbeitswelt stark verändert: Es gibt weniger Eheschliessungen, mehr Teilzeitarbeit und eine höhere Lebenserwartung. Diese Veränderungen haben Auswirkungen auf die Altersvorsorge und entsprechend haben viele Pensionskassen bereits darauf reagiert. Mit Blick auf die aktuelle BVG-Reform sehen Pensionskassenexperten deshalb bei den wenigsten Kassen Handlungsbedarf.

Leistungseinbussen weitgehend verhindert

Die BVG-Reform sieht folgende Änderungen vor: einen tieferen Mindestumwandlungssatz, einen niedrigeren Koordinationsabzug (20% des AHV-Lohnes), eine Senkung der Eintrittsschwelle auf 19‘845 CHF und weniger Abstufungen bei den Altersgutschriften als bisher. Aufgrund der höheren Lebenserwartung und der tiefen Zinsen waren viele Schweizer Pensionskassen in den vergangenen Jahren gezwungen, die Umwandlungssätze zu reduzieren. «Um Leistungseinbussen weitestgehend zu verhindern, wurde in vielen Fällen gleichzeitig auch der Sparprozess gestärkt. Konkret hatte dies zufolge, dass der Koordinationsabzug reduziert und die Altersgutschriften ausgebaut wurden», sagt Lukas Müller-Brunner, Direktor des Pensionskassenverbandes ASIP. Damit haben Pensionskassen Anpassungen vorweggenommen, über welche die Stimmbevölkerung am 22. September 2024 abstimmen wird.

Eine Annahme der Reform dürfte wegen der höheren Altersgutschriften dazu führen, dass der obligatorische Teil des Altersguthabens im Verhältnis zum überobligatorischen Teil tendenziell steigt. Dieser Effekt sei umso ausgeprägter, je tiefer der Lohn ist, sagt Benno Ambrosini, Pensionskassen-Experte SKPE und Managing Director bei Libera. «Der vorgesehene BVG-Umwandlungssatz allein wird die Pensionskassen nicht wesentlich betreffen», bestätigt Ambrosini. Die anderen Anpassungen hingegen könnten erhebliche Auswirkungen haben. Diese hingen jedoch stark von der aktuellen Gestaltung des Vorsorgeplans sowie von der Versichertenstruktur der jeweiligen Pensionskasse ab. Sie lassen sich nicht pauschal vorhersagen.

Jede Anpassung kostet Geld und Zeit

Da die meisten Pensionskassen ihre Parameter in den vergangenen Jahren bereits angepasst haben, dürfte auch ein «Nein» zur Reform keine oder nur geringe Anpassungen auslösen. Das sei zu begrüssen, sagt ASIP-Direktor Lukas Müller-Brunner: «Jede Anpassung von Finanzierungs- oder Leistungsparametern bringt Kommunikationsaufwand mit sich», sagt er. So müssen die Beweggründe und die daraus entstehenden Folgen detailreich aufbereitet und den Versicherten erklärt werden. Ausserdem darf der Anpassungsaufwand in Reglementen und IT-Systemen nicht unterschätzt werden.

«Es ist nicht einfach»

Die 2. Säule orientiert sich laufend an den aktuellen Arbeits- und Lebensmodellen und richtet ihre versicherungstechnischen Parameter daran aus. So gesehen hat die 2. Säule die BVG-Reform teilweise vorweggenommen, sagt Bálint Keserü, Head Retirement bei Aon Schweiz in Zürich. Gleichzeitig warnt er vor möglichen Stolpersteinen, die bei der Umset zung der Reform beachtet werden müssen.

Was sind die konkreten Auswirkungen auf einzelne Kassen und ihre Versicherten, wenn die Reform angenommen wird?

Bálint Keserü: Die Reform betrifft vor allem Versicherte, die lediglich gemäss BVG-Minimum versichert sind. Konkret sind dies etwa neun Prozent aller Versicherten. Wird der BVG-Mindestumwandlungssatz gesenkt, sinken ihre Renten. Gleichzeitig profitiert sie aber von den weiteren Reformvorschlägen. Dazu zählt die Senkung des Koordinationsabzugs und die Glättung der Altersgutschriften. Die Senkung der Eintrittsschwelle hingegen erweitert den Versichertenpool. Dadurch werden rund 100'000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzlich oder mit einem höheren versicherten Lohn versichert.

Und was bedeutet es für die anderen Versicherten?

Rund 85 Prozent der Versicherten sind in einer umhüllenden Kasse versichert, in der nebst dem gesetzlichen Minimum auch zusätzliche Leistungen versichert sind. Diese Kassen müssen lediglich sicherstellen, dass ihre Leistungen insgesamt dem BVG-Minimum entsprechen. Das wird vielerorts der Fall sein. Sollten sich aber durch die Reform dennoch Fälle häufen, bei denen die Altersrente gemäss Reglement niedriger ausfällt als die BVG-Rente, sollte die Kasse besser eine Änderung des Reglements vornehmen.

Bleiben die umhüllenden Kassen von der Reform weitgehend unberührt?

Nein, denn die Rentenzuschläge und deren Finanzierung betreffen sämtliche Pensionskassen und damit alle Versicherten – unabhängig davon, ob es sich um eine BVG-nahe Kasse oder umhüllende Kasse handelt. Finanziert wird durch einen lohnabhängigen Beitrag bis zu maximal 339 Franken pro Person und Jahr.

Was muss bei der Umsetzung der Rentenzuschläge beachtet werden?

Sagt das Stimmvolk Ja zur BVG-Reform, sind Rentenzuschläge für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen vorgesehen, um drohende Renteneinbussen abzuwenden. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Denn die Kompensationsmassnahme ist an zahlreiche Bedingungen geknüpft. Die Zuschläge sind abhängig vom Alter, Altersguthaben, dem Pensionierungszeitpunkt und der Versicherungsdauer in der 2. Säule sowie der AHV. Zudem besteht nur ein Anspruch, wenn mindestens die Hälfte des Altersguthabens als Rente bezogen wird. Es könnte eine Herausforderung sein, die für die Anspruchsberechtigung benötigten Daten zusammenzutragen. Diese sind zwar grundsätzlich in den Verwaltungssystemen der Pensionskassen vorhanden, aber vielleicht nicht an den Orten, wo sie für die Berechnung des Rentenzuschlags nötig wären.

Die Verknüpfung der benötigten Daten könnte zum Stolperstein werden. Wo sehen Sie weitere Knackpunkte?

Eine weitere Herausforderung ist die Festlegung der zur Berechnung des Rentenzuschlags benötigten Höhe des Alterskapitals. Dabei werden die Wohneigentum-Vorbezüge der letzten 20 Jahre an das massgebliche Altersguthaben angerechnet. Doch wie die weiteren Details, wie zum Beispiel Einkäufe und Scheidungen berücksichtigt werden oder wie der Anspruch bei Teilpensionierungen berechnet wird, das muss noch geregelt werden.

Wie hoch schätzen Sie den Aufwand für die Umsetzung der Reform insgesamt?

Wie erwähnt, kann die Berechnung des Rentenzuschlags sehr herausfordernd sein. Dagegen sind die Anpassung des Mindestumwandlungssatzes oder der Altersgutschriften weniger aufwendig. Das sollte in den Verwaltungssystemen relativ einfach hinterlegt werden können. Kommt hinzu, dass die Mehrheit der Kassen die in der Reform geforderten Mindestanforderungen insgesamt erfüllen. Sie werden mit Ausnahme des Rentenzuschlags und dessen Finanzierung nicht unbedingt weitere Anpassungen vornehmen müssen.

Welche Entwicklungen beobachten Sie bei den Sparplänen?

Viele Kassen haben die Reform grösstenteils vorweggenommen, indem sie ihre Vorsorgemodelle an aktuelle Arbeits- und Lebensmodelle angepasst haben. Die Umwandlungssätze liegen bei den meisten Kassen bereits unter den 6,0 Prozent, welche die Reform vorsieht. Erhebungen haben beispielsweise gezeigt, dass derzeit nur 11 Prozent der Kassen den gesetzlichen Koordinationsabzug anwenden. Die restlichen Pensionskassen nutzen den Gestaltungsfreiraum im Interesse ihrer Destinatäre und nehmen entweder variable Abzüge in unterschiedlicher Ausgestaltung vor oder verzichten ganz auf den Koordinationsabzug. Davon profitieren Erwerbstätige im Niedriglohnbereich und Teilzeitarbeitende.

Weshalb haben sich die Pensionskassen dazu entschieden?

Diese Massnahmen sind als Reaktion auf die veränderten Arbeitsmodelle zu verstehen. Zwischen 1991 und 2010 ist die Teilzeitarbeit während zwei Jahrzehnten sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern gestiegen. Seither hat sie sich laut Bundesamt für Statistik bei den Frauen stabilisiert, während sie bei den Männern weiter angestiegen ist. Im Jahr 2023 arbeiteten 20 Prozent der Männer und 58 Prozent der Frauen Teilzeit. Das sind nicht wenige. Hinzu kommt, dass auf dem Schweizer Arbeitsmarkt nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Wer hier als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden will, muss auf die Bedürfnisse der Arbeitskräfte eingehen.

Der Gesetzgeber hinkt also den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher?

Die Arbeitgebenden reagieren viel agiler auf gesellschaftliche Veränderungen als dies der Gesetzgeber tun kann. Das betrifft auch die Personalvorsorge. Ein Beispiel dafür ist etwa die Lebenspartnerrente für nicht verheiratete Partner. Diese wurde von den allermeisten Kassen bereits eingeführt, obwohl sie vom Gesetz nicht vorgeschrieben ist.

Gibt es weitere Beispiele?

Einige Vorsorgeeinrichtungen haben auch die Eintrittsschwelle auf freiwilliger Basis gesenkt. Damit geben sie Teilzeitarbeitenden mit geringen Pensen sowie auch Arbeitnehmenden mit Mini-Jobs die Chance, in die beruflichen Vorsorge einzutreten.
Das Bedürfnis nach einem erleichterten Zugang zur beruflichen Vorsorge hat laut der Swisscanto Pensionskassenstudie 2024 knapp ein Drittel der Vorsorgeeinrichtungen erkannt und die Voraussetzungen dazu geschaffen.

Inwiefern ist die Reform überhaupt noch nötig?

Die Reform stärkt langfristig die Finanzierung der 2. Säule, stärkt den BVG-Sparprozess und verbessert die Vorsorgesituation insgesamt im Tief- und Teilzeitsegment. Andererseits wird mit den Rentenzuschlägen und deren Finanzierung eine grosse zusätzliche Komplexität mit Querfinanzierung und einer langen Übergangsperiode ins System eingebracht.

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Vorsorge