«Kryptowährungen sind mittlerweile am Finanzmarkt integriert»
Bitcoin, Ethereum, Tether & Co. beflügeln das Interesse von potenziellen Investorinnen und Investoren. Elias Hafner, Senior Investment Strategist bei der Zürcher Kantonalbank, gibt Einblick in den innovativen, aber auch volatilen Kryptomarkt. Währungen sind das Spezialgebiet des Investmentexperten.
Interview: Melanie Gerteis
Herr Hafner, die Fachwelt ist sich uneins: Sind Kryptowährungen tatsächlich Währungen oder doch eher eine Anlageklasse?
In der Tat gibt es unterschiedliche Ansichten, aus rechtlicher wie auch aus Anlegersicht. Gemeinsam ist den Kryptowährungen, dass sie auf einem verteilten, also dezentralen, eben durch Kryptographie abgesicherten Systemen beruhen.
Grundsätzlich haben die unzähligen Kryptowährungen unterschiedliche Eigenschaften. So unterscheiden sie sich etwa darin, ob das Angebot an Coins limitiert ist oder nicht. Aber auch, auf welchem Mechanismus die Gültigkeitsprüfung der Transaktionen beziehungsweise die Validierung basiert. Das anteilsmässige Proof-of-Stake bietet etwa die Möglichkeit zum Staking – Besitzerinnen und Besitzer von Kryptowährungen erhalten eine Belohnung für das zur Verfügung stellen der gestakten Coins.
Darüber hinaus gibt es sehr geldnahe Kryptowährungen, die mit einem gesetzlichen Zahlungsmittel hinterlegt sind. Aktuell sind zwei der zehn grössten Kryptowährungen, nämlich Tether und USD Coin sogenannte Stablecoins. Diese sind mit dem US-Dollar gedeckt und folglich sollte dessen Wert in US-Dollar daher weniger schwanken. Aber wie immer gilt: Die verschiedenen Kryptowährungen müssen im Einzelfall betrachtet werden.
Bitcoin ist die älteste und mit einer Marktkapitalisierung von rund 1'250 Milliarden US-Dollar per Ende August 2024 die führende Kryptowährung. Kann Bitcoin die Funktion einer Währung übernehmen?
Ursprünglich wurde der Bitcoin geschaffen, um ein neues elektronisches Bezahl- beziehungsweise Geldsystem zu schaffen. Dieses sollte direkte Online-Zahlungen zwischen zwei Parteien ermöglichen, ganz ohne zwischengeschaltetes Finanzinstitut. Bitcoin kann bis anhin nicht alle zentralen Funktionen des Geldes übernehmen – also die des Tauschmittels, der Recheneinheit oder diejenige als Wertaufbewahrungsmittel.
Weshalb?
Vor allem wegen der starken Kursschwankungen. Der Anstieg zwischen Ende Februar und Anfang März dieses Jahres von gut 50'000 US-Dollar auf den Rekordwert von über 73'000 US-Dollar innert rund zwei Handelswochen oder der Fall von knapp 68'000 US-Dollar auf 54'000 US-Dollar in etwas mehr als einer Handelswoche zwischen Ende Juli und Anfang August 2024 zeigen beispielhaft, wie hoch die Preisschwankungen bei Bitcoin ausfallen.
Die Folge?
Aufgrund dieser Wertschwankungen eignet sich der Bitcoin nicht als Recheneinheit. Preise können bei einem solchen Auf und Ab über die Zeit nicht miteinander verglichen werden. Auch erschweren die hohen Schwankungen dessen Einsatz als Tauschmittel oder stabiles Wertaufbewahrungsmittel, das die heutige Kaufkraft auch morgen garantiert. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass in El Salvador, wo der Bitcoin seit September 2021 neben dem US-Dollar als gesetzliches Zahlungsmittel gilt, dessen Verwendung im Alltag nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Während Bitcoin zurzeit als Geldersatz im eigentlichen Sinne durchfällt, ist allerdings das Investoreninteresse an der Kryptowährung gestiegen.
Was sind die Beweggründe, in Bitcoin zu investieren, und für wen eignen sich solche Investitionen?
Drei Motive werden oftmals aufgebracht: Spekulation, Inflationsschutz und Risikostreuung.
Gerade aufgrund der hohen Volatilität eignen sich Bitcoins als spekulatives Investment. Geeignet sind sie für Investorinnen und Investoren, die genau diese Aussicht auf eine hohe Wertsteigerung – also Spekulation im positiven Sinne – suchen. Denn die starken Wertschwankungen bieten beim richtigen Ein- und Ausstiegszeitpunkt die Chance, mit einem relativ geringen Betrag einen hohen Gewinn zu realisieren. Bei einem falschen Timing drohen allerdings auch hohe Verluste.
Ein weiteres Investitionsmotiv ist der Inflationsschutz …
Korrekt, denn bei Bitcoin gibt es eine limitierte Anzahl Coins, maximal 21 Millionen digitale Einheiten – per Definition ist die verfügbare Menge also knapp. Bitcoin kann folglich eine nicht-inflationäre Alternative zum Papiergeld darstellen, denn Stand heute lässt sich die digitale Geldmenge nicht ausweiten wie dies etwa bei den Fiatwährungen – also gesetzlichen Währungen wie Schweizer Franken, Euro, US-Dollar – der Fall ist.
Allerdings bestehen bereits Investitionsmöglichkeiten, die einen Inflationsschutz bieten – wie etwa inflationsgeschützte Anleihen, Immobilien und Aktien, wo das Kapital realwirtschaftlich produktiv investiert ist, oder auch Gold. Diese Alternativen haben sich teilweise schon seit Jahrhunderten als Schutz vor Geldentwertung ausgezeichnet und weisen eine weit tiefere Volatilität als Bitcoin auf.
Kryptowährungen sind also höchst volatil und somit riskant. Weshalb gilt die Risikostreuung trotzdem als Investitionsmotiv?
Die Beimischung im Portfolio eines Investments mit einer höheren Volatilität steht nicht per se im Widerspruch zur Risikostreuung. Theoretisch können die Renditeschwankungen im Portfolio sogar reduziert werden, falls dieses einen schwachen Gleichlauf mit dem bestehenden Portfolio aufweist. Letzteres war bei Bitcoin lange der Fall.
Lag die Korrelation zwischen Bitcoin und dem Aktienmarkt bis zur Corona-Pandemie im historischen Durchschnitt nahe bei null, stieg sie im Frühjahr 2020 deutlich an, als zu Beginn der Corona-Pandemie die Aktienmärkte einbrachen. Also genau zu jener Zeit, als der Diversifikationseffekt stark gewünscht war. 2023 ist die Korrelation zwischen dem Bitcoin und dem Aktienmarkt allerdings wieder gesunken, obwohl sich beide äusserst erfreulich entwickelten. Der statistische Zusammenhang mit traditionellen Anlagen muss sich über die Zeit noch erhärten.
Was sind die Treiber des Bitcoin-Preises – und weshalb schwankt dieser so stark?
Auch bei Bitcoin wird der Kurs von Angebot und Nachfrage bestimmt. Wegen des vorbestimmten Angebots ist bei Bitcoin vor allem die Nachfrage entscheidend. Bitcoin ist jedoch nicht an eine Volkswirtschaft gekoppelt und stellt auch keinen Anteil an einem Geschäftserfolg dar – deshalb fallen solche fundamentalen Nachfragetreiber weg.
Der Bitcoin-Kurs wird vor allem von den Erwartungen bestimmt, wie stark die Coins zukünftig nachgefragt werden. Diese Erwartungen werden unter anderem durch die Reputation von Bitcoin, Regulierungsbestrebungen der Staaten oder Sicherheitsbedenken getrieben. Auch globale wirtschaftliche Faktoren wie etwa die Überschussliquidität, die nach der Corona-Pandemie in den Markt geflossen ist, beeinflussen die Kurse von Kryptowährungen. Beim genannten Beispiel war die Kursentwicklung positiv.
Es existieren viele Tausende Kryptowährungen – sollte es eine Fokussierung geben?
Bei den Kryptowährungen existiert kein übergeordneter Plan. Grundsätzlich kann eben jede Person eine solche Währung ins Leben rufen, und nicht jede neue Kryptowährung ist ernst gemeint.
Fakt ist, das Interesse an den digitalen Währungen ist über die letzten Jahre stark gestiegen. Mittlerweile sind sie im Finanzmarkt integriert, und viel Kapital wurde in sie investiert. Davon zeugen beispielsweise die Genehmigungen der US-Börsenaufsicht SEC im Zusammenhang von Spot-ETFs für Bitcoin und Ether seit Anfang Jahr. Wir gehen davon aus, dass sich die Kapitalisierung des Kryptomarktes aktuell auf rund 1% des globalen Marktportfolios beläuft. Auch wenn der Bitcoin bereits mehrere Male totgesagt wurde, hat dieser Dinosaurier der Kryptowährungen bis heute überlebt und weist bezüglich historischer Rendite einen enormen Leistungsausweis auf.
Top 5 Kryptowährungen
Gemessen an der Marktkapitalisierung gehörten Ende August 2024 Bitcoin, Ethereum, Tether, BNB und Solana zu den Top 5 der Kryptowährungen. Die globale Marktkapitalisierung sämtlicher Kryptowährungen betrug per Ende August 2024 rund 2'200 Milliarden US-Dollar.