Etablieren sich Kryptowährungen in der Finanzwelt?
Es gibt derzeit Tausende verschiedene Kryptowährungen. Ob sich diese langfristig durchsetzen und welche Chancen die dahinterliegende Technologie der Blockchain ermöglicht, darüber spricht Attila Makra, Co-Lead Foresight & Innovation bei der Zürcher Kantonalbank.
Interview: Melanie Gerteis
Herr Makra, trotz der Vielzahl verschiedener Kryptowährungen sprechen die meisten weiterhin nur vom Bitcoin. Woran liegt das?
Gemessen an der Marktkapitalisierung ist der Bitcoin mit derzeit rund 1'250 Milliarden US-Dollar (Stand: Ende August 2024) nun einmal die mit Abstand grösste, älteste und bekannteste Kryptowährung. Er stellt insofern rund die Hälfte der Gesamtmarktkapitalisierung sämtlicher uns bekannter Kryptowährungen dar.
Welche Kryptowährungen sind nebst dem Bitcoin noch bedeutsam?
Zum Beispiel Ether, die Kryptowährung von Ethereum. Ether ist gemessen an der Marktkapitalisierung zweitplatziert. Ethereum ist als digitale Plattform, welche die Blockchain-Technologie nutzt, eine Basis für diverse Anwendungsfälle. So könnten grundsätzlich viele Finanzdienstleistungen auf einer solchen Plattform technisch abgewickelt werden. Ethereum ist nicht die einzige Plattform. Weitere sind etwa Cardano oder Solana. Grundsätzlich unterscheiden sich die verschiedenen Plattformen unter anderem hinsichtlich ihres Zwecks, ihrer Architektur, der verwendeten Technologie, der Dezentralisierung oder der Governance.
Erwähnenswert sind auch Stablecoins. Je nach Ausgestaltung bilden diese etwa Währungen von Zentralbanken 1:1 ab und nehmen wichtige Funktionen in der Kryptowelt ein, etwa bei Transaktionen mit tokenisierten Wertschriften oder bei länderübergreifenden Zahlungen. Relevant können sie auch für Investorinnen und Investoren sein, um beispielsweise temporär hohe Preisschwankungen von Kryptowährungen zu vermeiden.
Wie haben sich die Einsatzmöglichkeiten von Kryptowährungen von früher zu jetzt verändert?
Der Bitcoin wurde ursprünglich als Zahlungsmittel kreiert und hat grundsätzlich diese Funktionalität – wobei die Eignung von Bitcoin als digitaler Wertspeicher oft und teilweise kontrovers diskutiert wird. Ein digitaler Wertspeicher ist ein wirtschaftliches Gut, dessen Wert über die Zeit erhalten bleibt und somit als Instrument zur Bewahrung von Vermögen genutzt werden kann (mehr dazu im Interview mit Elias Hafner, Anlagestratege bei der Zürcher Kantonalbank). Mittlerweile ermöglichen Kryptowährungen eine Vielzahl an Anwendungen. Neben der Abwicklung von Transaktionen auf Blockchain-basierten Plattformen werden Kryptowährungen beispielsweise als Repräsentation von Werten beim Lending oder Trading eingesetzt. Aber auch zur Sicherstellung der Governance. Besitzerinnen und Besitzer gewisser Kryptowährungen können beispielsweise mitbestimmen, wie die entsprechende Blockchain-Infrastruktur oder der Service weiterentwickelt werden sollen.
Kryptowährungen könnten reguliert werden, um beispielsweise anonyme Transaktionen einzuschränken. Wie kann die Historie von Kryptowährungen geprüft werden?
Etwa bei Bitcoin und Ethereum sind die Register mit den Transaktionen öffentlich einsehbar. Doch liegt die Krux im Detail: Besitzerinnen und Besitzer der Wallets können in einer Public Blockchain wie etwa bei Bitcoin anonym sein und beispielsweise eine Adresse nur ein einziges Mal verwenden. Die Beträge wiederum können in viele Teilbeträge aufgesplittet und an andere anonyme Adressen versendet werden. So kann ein einziger Bitcoin in 100 Millionen Einheiten gesplittet werden. Dies erschwert die Nachvollziehbarkeit.
Dasselbe gilt für den Einsatz von sogenannten Krypto-Mixern. Je nach Art werden beispielsweise potenziell identifizierbare Beträge von verschiedenen Nutzern vermischt und anschliessend an gewünschte Adressen weitergeleitet. In der Folge ist die Historie der Kryptowährungen nur noch schwer nachvollziehbar. Krypto-Mixer wurden in den letzten Jahren stark diskutiert, was unter anderem dazu geführt hat, dass solche Services in einigen Ländern reguliert wurden.
Verschleiert der Krypto-Mixer somit bewusst gewisse Herkunftsquellen?
Das tut er – und letzten Endes kann die Nutzung eines Krypto-Mixers dazu führen, dass die getätigte Investition in regulierten Märkten zu einer faktischen Wertverminderung führen kann, weil der notwendige Nachweis des rechtmässigen Erwerbs nicht mehr erbracht wird.
Tut sich hier für innovative Firmen eine Marktlücke auf?
Es existieren bereits einige spezialisierte Firmen, die solche Transaktionen weitgehend zurückverfolgen können und so bestmöglich nachweisen, dass mit den Kryptowährungen keine illegalen Aktivitäten finanziert wurden.
Es ist jedoch zentral, dass alle Dienstleister die gesetzlichen Vorgaben, wie etwa die korrekte Kundenidentifikation, einhalten. Sonst werden Regulatoren über kurz oder lang Massnahmen ergreifen müssen, um deren Einhaltung durchzusetzen.
Wie wird die Sicherheit von Kryptowährungen gewährleistet, wenn keine Vorschriften ans Netzwerk bestehen?
Hier gibt es unterschiedliche Ansätze, wobei diese – zumindest im Grundsatz – denjenigen von Bitcoin oder Ethereum ähneln. Nehmen wir erneut den Bitcoin: Jede Transaktion wird unveränderlich und nachvollziehbar gespeichert. Dies funktioniert – stark vereinfacht gesagt – so: Jede Transaktion, etwa ein Transfer von Bitcoins von Person A zu Person B, wird in Blöcke verpackt, verschlüsselt und an den vorherigen Block angehängt. Die Transaktionen, die wiederum durch das Konsensprinzip bestätigt wurden, können nachträglich nicht mehr manipuliert werden. Die Register sämtlicher Blöcke und somit sämtlicher Transaktionen werden zudem dezentral geführt, also auf einer Vielzahl von Rechnern gespeichert. Dies erschwert eine Manipulation zusätzlich.
Weshalb gelingt es dennoch?
Grundsätzlich werden die gesamten Prozesse einer Kryptowährung gemäss den Protokollvorgaben automatisiert gesteuert und ausgeführt. Dennoch kann es vorkommen, dass derartige Programme Schwachstellen aufweisen, die zu Fehlern oder gar Manipulationen führen können.
Und – wie bei allen digitalen Services – sind auch hier die Besitzerinnen und Besitzer von Kryptowährungen angehalten, ihre Zugangsdaten, insbesondere Passwörter, sicher aufzubewahren.
Der Validierungsprozess im Bitcoin-Netzwerk verschlingt gemäss Schätzungen viel Energie. Sind Massnahmen ersichtlich, um den Energieverbrauch zu reduzieren?
Auch wenn der tatsächliche Energieverbrauch von Bitcoin derzeit nur annähernd bestimmt werden kann, zeigen diverse Studien, dass das beim Bitcoin genutzte Proof-of-Work-Verfahren in der Tat viel Energie benötigt. Entsprechend werden Regulierungen in Zusammenhang mit dem Verfahren diskutiert – beispielsweise in Bezug auf die Offenlegung des Energieverbrauchs. Vor etwa zwei Jahren hat sich die Europäische Union trotz aller Bedenken knapp gegen eine neue Regulierung entschieden, die de facto das Proof-of-Work-Verfahren verboten hätte.
Mittlerweile werden aber auch vermehrt Massnahmen umgesetzt, um den Energieverbrauch von Transaktionen nachhaltiger zu gestalten; so etwa durch die Verwendung nachhaltiger Energiequellen wie Wind-, Wasser- oder Sonnenenergie oder auch durch die Nutzung von überschüssiger Energie wie beispielsweise der Weiterverwendung der Abwärme von Datenzentren.
Viele der am Marktkapital gemessenen grösseren Kryptowährungen wenden das Proof-of-Stake-Verfahren an, das im Vergleich zum Proof-of-Work-Verfahren weniger Energie benötigt. So hat etwa Ethereum im September 2022 ihre Blockchain auf dieses Verfahren umgestellt.
Werden sich digitale Währungen in der breiten Bevölkerung etablieren?
Diverse Studien weisen auf ein seit Jahren steigendes Interesse an der Blockchain-Technologie und an Kryptowährungen hin. Während sich einige Krypto-Anlegerinnen und -Anleger auf den Handel und auf kurzfristige Kursgewinne fokussieren, nutzen immer mehr Investorinnen und Investoren das sogenannte Staking. Besitzerinnen und Besitzer von Kryptowährungen, welche den sogenannten Proof-of-Stake-Konsensalgorithmus nutzen, setzen dabei ihre Kryptowährungen für einen bestimmten Zeitraum im Netzwerk ein, um dafür Belohnungen, sogenannte Staking Rewards, zu erhalten.
Inwiefern trüben Kurseinbrüche bei den Kryptowährungen das Vertrauen in die digitale Währung?
Kryptowährungen – mit Ausnahme der Stablecoins – sind in der Regel volatil (mehr dazu im Interview mit Elias Hafner). Die Insolvenzanmeldung der Kryptobörse FTX im Jahr 2022 zeigte eindrücklich, wie risikoreich die Kryptowährungsbranche sein kann. Um das Vertrauen langfristig zu sichern, ist es wichtig, derartige Ereignisse rasch und transparent aufzuarbeiten, Schwachstellen zu erkennen und insbesondere angemessene Massnahmen zu implementieren.
Des Weiteren haben die Genehmigungen im Zusammenhang von börsengehandelten Spot-ETFs für Bitcoin und Ether durch die US-Börsenaufsicht sowie die zunehmende weltweite Adaption der Blockchain-Technologie und von Kryptowährungen durch grosse, etablierte Finanzdienstleister einen derzeit positiven Einfluss zur Steigerung der Marktakzeptanz von Kryptowährungen.
Lösen Kryptowährungen in naher oder ferner Zukunft das traditionelle Finanzwesen ab?
Ich erwarte mittel- bis langfristig eine Koexistenz von traditionellen Finanzinstrumenten und auf Blockchain-basierten digitalen Vermögenswerten, zu denen auch Kryptowährungen gehören. Langfristig betrachtet haben digitale Vermögenswerte insgesamt das Potenzial, das Finanzbusiness nachhaltig zu verändern.
Denn die sogenannte Tokenisierung ermöglicht die digitale Repräsentation fast jedes Vermögenswertes, und der Token – wie eben bei Kryptowährungen – kann gleichzeitig selbst einen Vermögenswert darstellen. Dies könnte langfristig etwa die Verwaltung, den Zugang und Handel sowie Transaktionen jeglicher – auch physischer – Vermögenswerte vereinfachen und verbessern.
Die Folge?
Die erwähnte Tokenisierung von Vermögenswerten kann nicht nur das gesamte heutige Finanzwesen beeinflussen, sondern langfristig auch zu Verschiebungen in der Marktdynamik führen. Neue Marktteilnehmende – etwa Verwahrstellen im Zusammenhang mit der Tokenisierung von physischen Vermögenswerten – könnten sich beispielsweise als vertrauenswürdige Instanzen etablieren. Auch zukünftig müssen vertrauenswürdige Institutionen sicherstellen, dass Vermögenswerte bewertet, eindeutig abgebildet und dann abgestimmt gehandelt werden. Und natürlich müssen auch die den Token zugrunde liegenden Vermögenswerte garantiert und sachgemäss verwahrt werden.
Dies bedingt jedoch eine längere Transformationsphase mit entsprechenden Investitionen. Auch müssen allgemeingültige Standards etabliert werden. Ebenso sind die fortschreitende Digitalisierung der Zentralbankenwährungen sowie die mögliche Etablierung von Stablecoins wichtige Einflussfaktoren.
So entstand der Bitcoin – und so wirkt er sich aktuell aus
Die Idee zu Bitcoin, der ersten dezentralen Kryptowährung, wurde 2008 veröffentlicht. Zur Zeit der weltweiten Finanzkrise also. Diese wurde insbesondere durch das Platzen der Immobilienblase in den USA ausgelöst und führte unter anderem zum späteren Kollaps der US-Grossbank Lehman Brothers. Das Vertrauen in das Finanzsystem war stark gesunken – und der Bitcoin fand in dieser Zeit immer stärkeren Anklang und setzte sich erstmals erfolgreich durch. Dies vor allem, weil der Bitcoin wichtige Faktoren wie etwa die Dezentralisierung, den Konsensmechanismus sowie die Nachvollziehbarkeit erfolgreich vereinte.
Lange war die Kryptowährung ausschliesslich in der stetig wachsenden Bitcoin-Community ein Begriff. Die innovative Entwicklung fand zunächst nur wenig Eingang in die breite Öffentlichkeit.
Mit dem ersten Hype Ende 2017 änderte sich dies. Plötzlich investierten auch Personen ausserhalb der Community in Bitcoin. Dies galt auch für andere Kryptowährungen, die bereits entstanden waren, wie etwa Ether. Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich auf Social Media Nachrichten zum neuen Trendthema; Begriffe wie Bitcoin, Blockchain, DLT und so weiter wurden Standardrepertoire – zuerst bei einer interessierten Community, zusehends auch in der Finanzwelt.
Die zugrunde liegende Architektur und Technologie von Bitcoin wurden von weiteren Blockchain-basierten Organisationen weiterentwickelt und ist heute in verschiedenen Branchen im Einsatz, zum Beispiel zur Sicherstellung von Transparenz. Diverse Finanzdienstleister nutzen inzwischen die Blockchain-Technologie (z.B. für die Abwicklung von grenzüberschreitenden Zahlungstransaktionen) und bieten ihren Kundinnen und Kunden den Zugang zu Kryptowährungen an.